Causa Wienwert: Wie Ludwig die Juristenszene verwundert

Die Causa Wienwert treibt die Wiener SPÖ immer tiefer in ein Dilemma: Wie soll es ihr gelingen, ihrem angeklagten Bezirksvorsteher Ernst Nevrivy weiter politisch den Rücken zu stärken, ohne dabei selbst in gröbere juristische Probleme zu geraten? Berichte des KURIER haben in der Vorwoche jedenfalls für nachhaltige Verwunderung unter Juristen gesorgt. Der Tenor: Es sei unverständlich, dass sich die rot-pinke Stadtregierung nicht als Privatbeteiligte – sprich: als Geschädigte – im Gerichtsverfahren in der Causa Wienwert anschließt. Schließlich wäre das der mit Abstand unkomplizierteste und sicherste Versuch, sich in der Causa schadlos zu halten. Insidertipp Zur Erinnerung: Konkret geht es um den Schaden, den die Wiener Linien – und damit die Stadt Wien – im Zuge einer Remisen-Erweiterung im Jahr 2017 erlitten haben. Der damalige Wienwert-Chef Stefan Gruze kaufte über eine Projektgesellschaft ein Grundstück in Kagran, das die Wiener Linien dringend benötigten, und ließ es sich später teurer abkaufen – und zwar um 850.000 Euro mehr. Diese Summe steht laut der Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einer „pflichtwidrigen Amtshandlung“ Nevrivys. Demnach soll der Bezirksvorsteher am 26. Juli 2017 ein eMail mit Aktenvermerk der MA 21 (Stadtplanung und Flächennutzung) an Gruze geschickt haben. Im Anhang: ein Protokoll einer Sitzung zu den Ausbauplänen. Vorgeworfen wird Nevrivy der Verrat eines Amtsgeheimnisses sowie Bestechlichkeit, weil Wienwert im Gegenzug für den „Insider-Tipp“ eine Band aus seinem Heimatbezirk gesponsert haben soll. "Vertrauen" auf Nevrivy Die Wiener SPÖ verhält sich in der Causa verdächtig ruhig. Erst auf KURIER-Anfrage gab Bürgermeister Michael Ludwig bekannt, dass sich die Stadt nicht am Prozess beteiligen werde. Der Grund: Ludwig „vertraue den Aussagen“ Nevrivys. Erst nach Abschluss des Strafverfahrens prüfe man die weitere Vorgehensweise. In Juristenkreisen wird dies nun ungläubig diskutiert: Ein „einfacher Schriftsatz“, in dem sich die Stadt als Opfer deklariere und den Schaden als Privatbeteiligte geltend mache, würde ausreichen, erklärt eine Juristin im Gespräch mit dem KURIER. „Das geht schnell und ist günstig. Und selbst, wenn der Antrag zurückgewiesen werden sollte, ist nichts verloren.“ Zur Erklärung: Die Frage, ob der Stadt der Anschluss rechtlich zusteht, ist bei Amtsdelikten komplex. Zu klären sei etwa, ob der finanzielle Schaden unmittelbar aus der Straftat resultierte. Die Juristin betont aber: „Was die Stadt macht, ist nicht sorgfältig. Sie muss alles tun, um sich abzusichern. Es geht um öffentliches Geld.“ Da sich die Stadt nicht am Strafverfahren beteiligt, stünde ihr im Nachgang noch der zivilrechtliche Weg offen, um sich schadlos zu halten. Zumindest in der Theorie. Denn hier wird es komplex – und das liegt an der Verjährung. Vorwürfe seit 2021 bekannt Mit einem Schuldspruch vom Strafgericht in der Hand sind die Erfolgsaussichten grundsätzlich gut. Und selbst, wenn strafrechtlich nichts nachzuweisen war und ein Freispruch erfolgt, bestehen zivilrechtlich noch Chancen – die Hürde für ein Verschulden liegen hier deutlich niedriger. Allerdings: Wird Nevrivy im Strafverfahren freigesprochen, gilt zivilrechtlich für die Vorwürfe eine Verjährungsfrist von drei Jahren. (Im Falle eines Schuldspruches wären es 30 Jahre.) Das heißt: Geht Nevrivy im Strafverfahren ohne Verurteilung nach Hause, könnte der Stadt der Weg zum Zivilgericht verbaut sein. Denn die Frist, an der sich die Verjährung bemisst, beginnt ab Kenntnis von Schaden und Schädiger zu laufen. Medial bekannt wurden die Vorwürfe gegen Nevrivy im Februar 2021. Seither sind viereinhalb Jahre vergangen. Mit dem Vorwurf, einen Beschuldigten aus parteipolitischen Gründen zu schonen, war im Oktober 2024 auch die Finanzprokuratur – die Anwältin der Republik – konfrontiert. Sie hat sich in der Inseraten-Causa als Privatbeteiligte angeschlossen, aber nur gegen bestimmte Beschuldigte Schadenersatz geltend gemacht, darunter ehemalige Mitarbeiter wie den Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Finanzministerium. Nicht aber gegen Ex-ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz . Wolfgang Peschorn , der Präsident der Finanzprokuratur, erklärte damals, dass laut derzeitigen Ermittlungsergebnissen eben nur diese Personen direkt für die gesetzeswidrigen Geschäfte verantwortlich gemacht werden könnten. Zumindest dachte die Finanzprokuratur damals an die Verjährungshemmung für den zivilrechtlichen Weg bei einer Nicht-Verurteilung: Sie meldete ihre Ansprüche an, kurz bevor sich die Hausdurchsuchung in der Inseratenaffäre (Oktober 2021) zum dritten Mal gejährt hat; unter anderem auch gegen den Ex-Finanz-Generalsekretär Thomas Schmid , der bekanntlich Kronzeuge ist und strafrechtlich derzeit nicht verfolgt werden kann. Hätte die Stadt sich in der Causa Wienwert 2021 schon als Privatbeteiligter angeschlossen und ihre Ansprüche als Opfer angemeldet, dann wäre die Frist bis zu Klärung ebenfalls gehemmt gewesen. Aber das tat sie nicht.