Advent am Limit

Auch wenn weiße Weihnachten in den meisten Städten Österreichs zur Seltenheit geworden sind, wirkt die Adventzeit wie ein Magnet für Besucher aus aller Welt. Alleine in Wien gab es im Dezember des Vorjahres zwei Millionen Nächtigungen. In der gesamten Wintersaison betrug das Plus zehn Prozent auf knapp neun Millionen. Trubel und Alkohol statt Besinnlichkeit. Die Kassen klingeln, was angesichts der wirtschaftlichen Flaute prinzipiell schön ist. Aber Einheimische bekommen zunehmend das Gefühl, es wird zu viel des Guten. Bei der Wiener Staatsoper etwa sorgt ein überdimensionales weihnachtliches Geschenkmascherl an einer Geschäftsfassade ob der vielen Handy-Selbstporträts für Zusammenbrüche des Verkehrs. Auch zu Fuß ist kaum ein Weiterkommen, speziell in den großen Einkaufsstraßen, möglich. Wer einen Tisch in einem Lokal ergattern möchte, muss nicht nur wegen der vielen Weihnachtsfeiern schnell sein. Und wenn ein Wiener einen Weihnachtsmarkt besuchen will, tut er gut daran, Rathausplatz oder Schloss Schönbrunn zu meiden. Vor allem an Wochenenden haben die Touristen dort seit einigen Jahren bereits die Oberhand. Und nach dem Fest geht es an denselben Stellen fast nahtlos mit dem Silvestergeschäft weiter. Viele Städte wie Venedig, Barcelona oder Paris kämpfen seit Jahren mit dem Problem des Overtourism. Wien scheint – zumindest in der Vorweihnachtszeit – sich dazu zu gesellen. International hat bisher so gut wie kein Rezept dagegen wirklich geholfen – weder harte Regelungen gegen Kurzzeitvermietungen von Wohnungen noch Sondersteuern. Wien versucht es auch damit, Touristenströme zu anderen Sehenswürdigkeiten umzulenken. Doch Adventmärkte in den Fußgängerzonen von Meidling oder Favoriten haben naturgemäß nicht die Anziehungskraft wie jene in den Innenbezirken. Dabei gäbe es eine einfache Möglichkeit, den Ansturm auf die Märkte zeitlich zu entzerren: großflächige Tourismuszonen, in denen zumindest an den Adventsonntagen geshoppt werden kann. Es ist ein absoluter Anachronismus, dass in der fünftgrößten Stadt der EU (aber auch in Landeshauptstädten) Einheimischen und Touristen noch immer der Einlass in Geschäfte gesetzlich untersagt wird. Eine Vorgehensweise, die so gut wie einzigartig in Europa ist und die Geschäftsleute in ihrer wirtschaftlichen Entfaltung behindert. Dabei gab es bis in die 60er-Jahre die Möglichkeit zum Einkaufen an Adventsonntagen. Aber Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) bleibt (wie andere Amtskollegen) hier stur. Auch angesichts der Rekordverschuldung von Stadt und Bund ist diese Position schon seit langem nicht mehr nachvollziehbar. Leichtere Wege, zusätzliche Einnahmen zu lukrieren, gibt es kaum.