Leser Michael O (33) fragt: Seit wir zusammen sind, feiern wir Weihnachten im Zweitwohnsitz meiner Partnerin. Dabei sind ihre Eltern, samt Tanten, Onkel und Cousinen, aber auch meine Eltern sowie mein Bruder mit Familie. Heuer allerdings feiert mein Bruder mit seiner Familie allein, so wie wir es traditionell mit unseren Eltern gemacht haben. Ich würde nun auch gern eine eigene Familientradition etablieren und nur zu viert, unsere Kinder sind 4 und 6, feiern. Sie ist dagegen, weil die Eltern ja dann „allein“ wären – der Rest der Großfamilie ist ja trotzdem da. Für meine Eltern wiederum ist es kein Problem. Gibt es eine Chance, mich durchzusetzen? Antwort: Es wäre nichts gewonnen, wenn einer von Ihnen sich „durchsetzt“ – am Ende wäre es wie bei einer Operation: gelungen, Patient tot. Sie sind Vater und Partner und haben damit ein volles Mitspracherecht. Inhaltlich geht es weniger um „wo feiern wir heuer“, sondern um Rangordnung und Identität: Beispielsweise ob Sie und Ihre Partnerin mit 33 Jahren schon eine gemeinsame Kernfamilien-Gravitation entwickelt haben, die sich in beiden Herkunftsfamilien als neues Zentrum anfühlt. Ihre Frau erlebt vielleicht noch stark die Gravitation ihrer Eltern. Objektiv sind die Schwiegereltern nicht „allein“, weil die Großfamilie vor Ort ist – subjektiv fühlt es sich für sie aber womöglich so an, als würde sie ihre Herkunftsfamilie „verlassen“, wenn Weihnachten nicht dort stattfindet. Gleichzeitig ist Weihnachten ein sensibles Ritual. Damit es nicht zum Dauerkonflikt wird, braucht es eine stimmige Interpretation von Ihnen beiden – und eine respektvolle Einbettung der Großfamilie. Ein klarer Kompromiss ist strategisch meist besser als ein Machtentscheid, z.B.: Heuer feiern Sie als Kernfamilie zu viert bei Ihnen zuhause (als neue Tradition) und besuchen die Schwiegereltern davor oder danach zu einer fixen, gut planbaren Zeit. So zeigen Sie: „Unsere Familie hat ein eigenes Zentrum“, ohne ihre Bindungen abzuwerten. Prüfen Sie gemeinsam, für wen Weihnachten in welcher Form am wichtigsten ist – oft sind es die Kinder – und bauen Sie die Planung daran auf. Ziel ist nicht Sieg, sondern ein Ritual, das beide ohne Groll tragen können.