„Schon wieder ein Einkaufswagerl mit einem defekten Rad!“, zürnte eine gut gekleidete ältere Dame vorm Eingang des Supermarkts. „Wissen Sie, was ich vermute, Herr Eckel?“ „Oje“, dachte ich mir. Nach dem Satzanfang „Wissen Sie, was ich vermute?“ folgen meistens Ansichten, die Fakten großräumig umgehen. „Die beim Billa manipulieren das eine Rad absichtlich, damit mich das Einkaufswagerl immer in die Abteilung mit den teuren Produkten führt.“ „Wissen Sie, was ich zusätzlich glaube?“, ergänzte ich. „Das Quietschen des kaputten Rades erzeugt eine Ultraschall-Frequenz, die den Dom-Pérignon-Champagner im Regal dazu bringt, ,Kauf mich!’ zu flüstern.“ Die Dame drehte sich kopfschüttelnd weg. Die Theorie war sogar ihr zu steil. Menschen haben mit ziemlicher Sicherheit nur ein Leben. Trotzdem konzentriert sich unsere Wahrnehmung mit Leidenschaft auf den Mangel. Diese kleinen Enttäuschungen können verschiedenartig sein: das kaputte Einkaufswagerl-Rad, der klemmende Reißverschluss, der fehlende Parkplatz oder Andi Babler. Ich habe mich gestern maßlos darüber geärgert, dass die Face-ID meines Smartphones mein Gesicht erst drei Stunden nach dem Aufstehen erkennen wollte und dass sich am Abend eine Chip-Verpackung überall öffnen ließ, außer an der Stelle, wo „Hier öffnen“ stand. Mit Gewalt zerriss ich die Verpackung in der Mitte, was wiederum meine To-Do-Liste um den Punkt „15 Minuten staubsaugen“ ergänzte. Jedes Leben besteht aus ca. 932.324 Problemen Aber wäre ein Leben ohne Probleme lebenswert? Alle Züge würden pünktlich kommen, wir wären umzingelt von „braven“ Kindern und freundlichen Kellnern, jeder Drucker würde drucken, jeder Trockner würde trocknen und jedes Einkaufswagerl würde immer geradeaus fahren. Gähnende Langeweile. Vielleicht sollten wir manchmal dem Weg, den uns ein kaputtes Rad vorgibt, folgen – möglicherweise führt uns auf diese Weise ein defektes Einkaufswagerl noch ins Paradies. Hoffentlich gibt es dort neue Probleme. Klaus Eckel, Kabarettist & Autor. Last-Minute-Geschenkstipp: „In meinem Kopf möchte ich nicht wohnen“.