Die Kulturszene steht vor massiven Kürzungen. Ioan Holender plädiert für eine radikale Lösung: Zusammenführung von Staatsoper , wo der Vertrag von Bogdan Roščić bis 2030 läuft, und Volksoper (Lotte de Beer ist bis 2032 im Amt). KURIER: In der Wiener Staatsoper fand diese Woche die Premiere von Beethovens „Fidelio“ statt, jener Oper, mit der das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Haus vor 70 Jahren wiedereröffnet wurde. Beim Gedenken daran vor 20 Jahren waren Sie Staatsoperndirektor und haben Karl Böhm, den Dirigenten im Jahr 1955 und einstigen Opernchef, heftig kritisiert. Wie kommentieren Sie heute das Gedenken? Ioan Holender: Ich habe Karl Böhm nicht als Dirigenten oder persönlich kritisiert, sondern nur darauf hingewiesen, dass ich immer noch nicht genug darüber staunen kann, dass damals, zehn Jahre nach Kriegsende, derselbe Direktor ernannt wurde, der auch der letzte unter den Nazis in der Ostmark war. Ich verstehe auch nicht, warum man nicht in der Lage war, einen unbelasteten österreichischen Regisseur für „Fidelio“ zu finden, sondern Heinz Tietjen, den Nazi und preußischen Generalintendanten, geholt hat. Die Staatsoper hat eine Tafel am Haus als Erinnerung für die Opfer angebracht und dieser Zeit auch eine Ausstellung gewidmet. Man muss immer wieder daran erinnern, was geschehen ist und wie Österreich nach dem Krieg damit umgegangen ist. Kommen wir in die Gegenwart beziehungsweise in die Zukunft. Es wurde bereits angekündigt, dass es auch im Kulturbereich Einsparungen geben wird. Sie waren in Ihrer Zeit als Operndirektor als Sparmeister bekannt. Wo kann man aus Ihrer Sicht nun sparen? Ich bin gegen das Sparen als Prinzip, aber ich bin ein absoluter Verfechter dessen, dass man Geld nicht unnötig ausgibt. Wenn man sich daran hält, spart man automatisch. Ich wundere mich zum Beispiel, wieso man für das Strauss-Jahr 22 Millionen Euro ausgegeben und sogar eine eigene Intendanz geschaffen hat. Das betrifft zwar die Stadt Wien und nicht den Bund, aber es ist das gleiche Steuergeld und zeigt die Verschwendung. Sie waren, als Sie 1992 Staatsoperndirektor wurden, automatisch auch Chef der Volksoper. Wie sehen Sie die Entwicklung dort? Ich bin absolut dafür, dass man die Volksoper und die Staatsoper wieder unter einer Direktion zusammenlegt. Es gibt dann einen Chef über beide Häuser, und die Volksoper hat lediglich einen Betriebsleiter. Warum das? Was sollte das bringen? Es ist schon lange her, aber wir haben zu meiner Zeit als Direktor ausgerechnet, dass es 30 Prozent der Gesamtkosten spart, wenn man nur eine Führung und eine gemeinsame Konstruktion hat. Aber mir geht es in diesem Fall nicht primär ums Geld, sondern vor allem um die künstlerischen Vorteile. Und die wären? Zunächst einmal würden automatisch die fest engagierten Sänger in beiden Häusern singen. Das würde das Niveau der Volksopernsänger sofort steigern und attraktiver machen. Ich will jetzt nicht die Volksoper kritisieren, aber es ist ein Faktum, dass eine ganze Generation von Opernfreunden zentrale Werke in Wien nicht hören konnte, obwohl wir drei Opernhäuser haben. Welche Werke meinen Sie? Ich spreche von „Evangelimann“ von Kienzl, der dort ewig nicht gelaufen ist. Oder von „Tiefland“ von d’Albert, „Martha“ von Flotow, den Opern von Lortzing oder „Mignon“ von Thomas, auch vom „Feurigen Engel“ oder der „Liebe zu den drei Orangen“ von Prokofjew, von „Kleider machen Leute“ von Zemlinsky. Auch „Makropoulos“ von Janáček war in der Volksoper in deutscher Sprache in der Regie von Christine Mielitz und mit Anja Silja zu hören, ebenso „Perlenfischer“ von Bizet oder „Faust“ („Margarethe“) von Gounod. Natürlich Operetten wie „Zigeunerbaron“, „Giuditta“ , „Der fidele Bauer“ oder Musicals wie „Gigi“. Diese Liste könnte man beliebig fortsetzen. Das müsste man in der Volksoper spielen. Stattdessen gibt es da wie dort „Rosenkavalier“, „Salome“, „La Bohème“ oder die Da-Ponte-Opern. Solche Doubletten sind ridicule. Wie wäre es bei einer Zusammenlegung mit Sängerstars und Dirigenten? Damals hat Leopold Hager, der an der Staatsoper immerhin „Meistersinger“ dirigierte, selbstverständlich an der Volksoper Aufführungen geleitet. Natalie Dessay hat da wie dort gesungen. Das würde in der Volksoper alles automatisch möglich sein. Halten Sie denn eine solche Zusammenführung für realistisch? Und ab wann könnte das passieren? Die Bundestheater beziehungsweise das Kulturministerium müssten das tun. Das wäre das Sinnvollste aus künstlerischen Gründen. Aber auch weil man in der Intendanz viel spart und bei der Technik. Die müsste in beiden Häusern tätig sein. So kann man Stehzeiten verhindern. Das Ballett wurde ja schon zusammengeführt. Chor und Orchester bleiben natürlich getrennt. Ab wann das kommen soll? Künstlerisch so schnell wie möglich. Und wer soll die beiden Häuser dann leiten? Der Staatsoperndirektor mit einem Betriebsleiter in der Volksoper, so wie es schon gewesen ist. Sie haben heuer Ihren 90. Geburtstag gefeiert und sind in der Kulturszene nach wie vor sehr präsent. Woran arbeiten Sie noch außer an Ideen für die Bundestheater? Ich hatte zuletzt einen Anruf von jemandem, mit dem ich niemals gerechnet hätte: vom Festwochen-Intendanten Milo Rau. Er wollte mich treffen, um etwas zu besprechen. Den haben Sie doch immer heftigst kritisiert. Ja. Er hat mich auch gefragt, ob ich eigentlich verstehe, was er mit seiner Freien Republik macht. Ich habe gesagt: natürlich nicht. Aber er hat mich zu überzeugen versucht, dass wir am Ende in dieselbe Richtung denken. Und ist etwas Konkretes dabei herausgekommen? Wir sind in einem Annäherungsprozess. Klingt rätselhaft. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Was ich aber sagen kann: Ich plane für das berühmte Jugendstil-Juwel Casino Constanța – im früheren Tomis, Ovids Verbannungsort am Schwarzen Meer, wo er die „Metamorphosen“ geschrieben hat – ein Festival klassischer Musik. Mit dem Janoska-Ensemble, mit CrossNova und vielen anderen. In Rumänien tätig sein zu dürfen, freut mich immer sehr.