„Neunjährige zu verhüllen, ist mit meinem Bild von Österreich nicht vereinbar“

KURIER: Herr Klubobmann, Ihr Generalsekretär hat jüngst gesagt, beim Regieren lernt man täglich etwas dazu. Was war bislang Ihre härteste Lektion? Yannick Shetty: Vermutlich, dass es etwas völlig anderes ist, Dinge umsetzen zu müssen, als sie nur zu fordern. Als Oppositionspartei legst du Konzepte auf den Tisch und willst, dass sie endlich passieren. Aber wenn du das Ding, wie es so schön heißt, „herbringen“ musst, also eine Einigung in der Koalition erzielen sollst, ist das eine völlig andere Dimension. …weil man zu Dritt mehr reden muss als zu zweit? Nein. Die größte Schwierigkeit ist für uns gerade, dass kein Geld da ist. Das macht alles um ein Vielfaches schwieriger. Vor diesem Hintergrund ist uns aber viel gelungen. Mit Verlaub, aber: Die großen Würfe sind – noch – nicht gelungen, oder? Das sehe ich anders: Wir haben gerade letzte Woche nach Jahrzehnten den Strommarkt gesetzlich neu geordnet. Für die Industrie, die Energieerzeuger und die Konsumenten ist das ein großer Wurf. Aber wenn das angesprochene ElWG-Gesetz den Strom nicht billiger macht, wird ihnen das um die Ohren fliegen… Wir haben in der vergangenen Woche zwei Dinge umgesetzt: Als kurzfristige Maßnahme werden durch die niedrigere Elektrizitätsabgabe insbesondere energieintensive Industrie entlastet. Durch das neue Strommarktgesetz wird der Strom nicht sofort im Jänner oder Februar günstiger. Aber mittelfristig werden die Preise dadurch sinken. Ihr Entbürokratisierungsstaatssekretär Sepp Schellhorn sagt, seine zuletzt präsentierten Ideen seien keine großen Reformen, sondern ein erster Schritt. Waren die Neos naiv, was die Reformmöglichkeiten angeht? Ich würde die Frage umdrehen und die Kritiker fragen: Wie sieht denn ein großer Wurf aus? Das Wesen der Bürokratie ist, dass sie mit vielen kleinen Vorschriften Unternehmer, Lehrkräfte, Bürger und andere im Alltag hemmt. Wir reduzieren die vielen kleinen Vorschriften. Sepp Schellhorn durchforstet alle bürokratischen Vorgaben und versucht, sie zu vereinfachen. Das gabs noch nie. Von der Reformpartnerschaft zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sind auch noch keine großen Würfe zu sehen. Ich bin bei Ihnen, dass hier im kommenden Jahr Wesentliches weitergehen muss. Da darf kein Klein-klein übrigbleiben, es müssen große Reformen und Kompetenzverschiebungen her. Aber wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass alle Beteiligten einen strukturierten Prozess zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufsetzen, der das Land grundlegend neu aufstellt? Der Umstand, dass in Österreich bei der Bildung, der Energie oder der Gesundheit jeder für alles zuständig, aber niemand für etwas verantwortlich ist, muss sich ändern. Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten. Manchen in ihrer Partei fehlt der Glaube. Ihr Stellvertreter kritisiert die Regierung seit Beginn, eine prominente Abgeordnete, Steffi Krisper, hat das Mandat zurückgelegt. Ungewöhnliche Turbulenzen für eine Partei, die erstmals regiert… Ich würde das nicht als Turbulenzen bezeichnen. Wir sind ein lebendiger Klub, die Dinge werden offen angesprochen. Allerdings ist die Kritik konstruktiv, deshalb gibt bei uns keine Führungsdebatten. Und auch wenn Abgeordnete das freie Mandat wahrnehmen, sind wir in der Koalition ein verlässlicher Partner mit klaren Mehrheiten. Sie spüren draußen bei ihren Funktionären keine Enttäuschung darüber, dass zu wenig weitergeht? Ich spüre schon, dass bei manchen eine große Ungeduld da ist. Aber im zweiten Satz bekomme ich oft zu hören: Gottseidank seid ihr Neos in dieser Regierung – sonst würde überhaupt nichts weitergehen. Die Änderungen im Pensionsbereich, das Aufschnüren der Beamten-Gehälter: Ohne Neos wäre vieles nicht passiert. Sie wollen als Partei für Transparenz und Haltung stehen. Ihr Gegenüber in der ÖVP, August Wöginger, hat ein Verfahren wegen Amtsmissbrauch. Ist das nicht belastend für die Regierung und sie als Koalitionspartner? Als Abgeordneter kommentiere ich laufende Verfahren nicht. Das Hin und Her in diesem Verfahren hat gezeigt, dass die Justiz unabhängig arbeitet. Der Ball liegt beim Gericht. Aber sollte Wöginger schuldig gesprochen werden: Ist er dann als Klubchef noch tragbar? Das ist eine Entscheidung der ÖVP. Zurück zu den Reformen: Der Fiskalrat sagt, dass sie 2026/27 noch weniger Spielraum haben als veranschlagt. Da muss dann erst recht noch mehr gespart werden. Der Fiskalrat rennt offene Türen bei uns ein, wenn es darum geht, dass wir uns bei der Konsolidierung gerade durch strukturelle Reformen mehr anstrengen müssen. Es ist eine gute Nachricht, dass die jüngsten Wirtschaftsprognosen von Wifo und IHS deutlich besser sind, als noch vor kurzem. Es wird dennoch mehr Anstrengungen brauchen in den nächsten beiden Jahren. Was sind für Sie die größten Reformbrocken? Nach neun Monaten in der neuen Verantwortung kann ich sagen: Die Doppel- und Dreifachförderungen verschlucken auf allen Ebenen Milliarden. Wir fördern Dinge auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene doppelt und dreifach. Da sind wahnsinnig viele Synergien möglich. Eines der emotionalsten Themen war zuletzt das Kopftuchverbot.  Wieso beschließen die Neos, die sich als liberale Partei verstehen, eine derart einschneidende und möglicherweise verfassungswidrige Vorschrift? Grundsätzlich haben Neos nichts gegen Vorschriften und Gesetze, wir sind ja keine Anarchisten, sondern Liberale. Wir sind dort für Vorschriften, wo es nötig ist und gegen Vorschriften, wo man keine braucht. Und beim Kopftuch ist das der Fall. Es ist ein quantitativ extrem relevantes Phänomen, gerade in Ballungsräumen. Kopftücher bei Kindern sind keine Rand-Erscheinung mehr. Und gerade aus liberaler Perspektive muss es uns ein Anliegen sein, dass Kinder selbstbestimmt und frei von religiöser oder ehr-kultureller Indoktrinierung aufwachsen dürfen. Eine Neunjährige soll sich keine Sekunde Gedanken machen müssen, ob ihre Haarsträhne richtig sitzt. Sie soll sich auf Deutsch, Mathe und Englisch konzentrieren. Das Kopftuch ist ein Unterdrückungssymbol? Wenn ich die religiösen Schriften lese, lässt das bei mir keine andere Interpretation zu. Natürlich ist es ein Unterschied, ob eine 45-jährigen Mutter ein Kopftuch trägt oder ein 12-jähriges Mädchen. Aber das Kopftuch hat einen sexualisierenden Charakter, weil es das Mädchen vor männlichen Blicken schützen soll. Und ich finde nicht, dass ein zwölfjähriges Mädchen vor den Blicken ihrer männlichen Mitschüler geschützt werden muss. Hält das Verbot, wird das zu Konflikten im Schulalltag führen. Es ist wichtig, dass man die Lehrerinnen und Lehrer nicht alleine lässt. Aber das Ziel ist, dass das Kinderkopftuch aus der Schule verbannt wird. Will man die liberale, wehrhafte Demokratie verteidigen, muss man bereit sein, manche Konflikte einzugehen. Ein neunjähriges Mädchen zu verhüllen, ist in meinem Weltbild nicht vereinbar mit dem Österreich, auf das ich stolz bin, das Mädchen- und Frauenrechte schützt. Sie haben die wehrhafte Demokratie angesprochen: Am 20. Jänner wird eine Kommission der Regierung vermutlich die Verlängerung der Wehrpflicht vorschlagen. Hätten Sie den Mut, das umzusetzen? Die Verlängerung der Wehrpflicht ist nicht Teil des Regierungsprogrammes. Aber wenn die Kommission das empfiehlt? Wir Neos würden auch unsere Position zu Vermögenssteuern nicht ändern, weil uns eine Kommission das vorschlägt. Einen so grundsätzlichen Eingriff, hätte man bei den Koalitionsverhandlungen vereinbaren müssen. Da ist nicht geschehen. Daher wird es nicht kommen.