„Vor einem Jahr um diese Zeit hatte ich mein Kapitel in den Regierungsverhandlungen fix und fertig und bin davon ausgegangen, dass zu Heiligen Drei König die Dreierkoalition steht“, sagt Christian Stocker im Gespräch mit dem KURIER kurz vor Weihnachten im Kreiskyzimmer. „Wie wir wissen, ist es anders gekommen.“ Seit Jänner führt Stocker die ÖVP, seit 3. März die erste Dreierkoalition Österreichs an. Dass er vor zwölf Monaten noch im Team mit Karl Nehammer an der Spitze der Partei und Harald Mahrer an der Spitze der Wirtschaftskammer verhandelte, die beide mittlerweile nicht mehr im Amt sind – das „sagt mehr über die Zeit aus als über die ÖVP aus. Wir leben in einer Zeit, die von Unvorhersehbarkeiten geprägt ist. Die Welt verändert sich rasant – nicht nur die USA mit Donald Trump , China und Xi Jinping , sondern auch die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) oder afrikanischen Staaten – und Europa versucht darin seine Rolle zu finden.“ APA/GEORG HOCHMUTH STOCKER / MAHRER / EDTSTADLER / NEHAMMER / WÖGINGER / NEHAMMER „Herzblut“ Der Jurist und ehemalige Vizebürgerbürgermeister von Wiener Neustadt, der gleichsam über Nacht vom ÖVP-Generalsekretär zum Partei- und Regierungschef wurde, habe nie bereut, die Aufgaben übernommen zu haben. „Ich mache es freiwillig und ich mache es gerne.“ Er gebe sein „Herzblut für dieses Land, weil ich glaube, dass wir eine ernsthafte Chance auf den Aufschwung haben und wir ihn mit dieser Regierung erreichen können.“ APA/HELMUT FOHRINGER Babler, Stocker, Meinl-Reisinger Die türkis-rot-pinke Koalition könnte, betont er, „für lange Zeit die letzte sein, die das aus der Mitte der Gesellschaft herausschaffen kann“. Und zu schaffen gilt es viel, befindet sich die Republik doch im dritten Jahr der Rezession und zählt bei vielen europäischen wie internationalen Rankings mittlerweile zu den unrühmlichen Schlusslichtern. Kurier / Juerg Christandl Christian Stocker im KURIER-Gespräch im Kreiskyzimmer Zum Status quo: Die Inflation liegt bei über vier Prozent, die Zahl der Arbeitslosen bei knapp 400.000 und das prognostizierte Wirtschaftswachstum bei knapp über null. Erschwerend hinzu kommt das Budgetdefizit, das weit größer ausfällt als zu Jahresbeginn avisiert. Von einem Budgetsaldo von Minus 4,6 Prozent des BIP geht das Wifo für heuer aus, von Minus 4,4 Prozent das IHS. Damit ist Österreich weit entfernt von den Maastricht-Kriterien (Minus 3 Prozent), die es in der EU einzuhalten gilt. APA/ROLAND SCHLAGER / ROLAND SCHLAGER Klubchefs der Regierungsparteien „Kein Marketing-Gag“ Wie hoch sich Österreich 2025 verschuldet hat, das wird erst im März feststehen, wenn die Länder ihre Zahlen eingemeldet haben werden. Wie der Kanzler aus dieser wirtschaftlichen und alles (mit)bestimmenden Talsohle herauskommen will? Mit der „Formel 2-1-0, die ja kein Marketing-Gag ist, sondern abbildet, welchen Weg wir 2026 gehen wollen“. APA/HANS KLAUS TECHT Sepp Schellhorn, Wolfgang Hattmannsdorfer, Peter Hanke Die Devise sei, eine Inflation von 2 Prozent zu erreichen, 1 Prozent Wirtschaftswachstum zu generieren und Intolerante nicht zu tolerieren. Neben den leicht positiven Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute für 2026 gibt es laut Stocker Anzeichen dafür, dass auch die Lebensmittelpreise sinken und zu einer geringen Inflation beitragen werden. „Gleichzeitig werden wir den ‚Österreich-Aufschlag’ auf EU-Ebene weiter bekämpfen und die Wirtschaft mit den Maßnahmen aus der Industriestrategie ankurbeln.“ Vorgestellt werden soll die Strategie im Jänner, derzeit sei man „auf den letzten Metern“. REUTERS / Elisabeth Mandl Generalsekretär Christian Stocker wird am 5.1. zum neuen ÖVP-Chef ernannt und führt Gespräche mit dem Wahlsieger: FPÖ-Chef Herbert Kickl. Am 12.2. scheitern die Gespräche. Was die Regierung in den letzten Monaten geleistet hat, das sei – befindet der Kanzler trotz anhaltend schlechter Umfragewerte und ebensolcher Stimmung – „als mehr als herzeigbar, auch wenn diese Leistung bei den Menschen noch nicht zur Gänze angekommen ist.“ Vor allem das mit den Stimmen der Grünen beschlossene „Billig Strom“-Gesetz sei ein wichtiger Schritt gewesen. Warum die Freiheitlichen, mit denen Stocker Anfang des Jahres noch eine Regierung hätte bilden wollen, nicht mitgestimmt haben? APA/HELMUT FOHRINGER / HELMUT FOHRINGER Sondersitzung im Parlament - Kanzler und Vizekanzler auf der Regierungsbank, FPÖ-Chef am Rednerpult „Ich habe von der FPÖ nie ein Argument gehört, warum sie nicht mitstimmt. Aber Hauptsache, sie ist dagegen. Das Wesen der FPÖ ist ein Geist, der verneint.“ Kickl hätte sich nach Stockers Dafürhalten in einer blau-türkisen Regierungskonstellation neu erfinden können, habe diese Chance aber nicht genutzt, „weil es für die FPÖ keine Kompromisse gibt“. APA/ROLAND SCHLAGER / ROLAND SCHLAGER Klubchefs der Regierungsparteien In der jetzigen Regierung versuche man einen „neuen Stil zu pflegen. Wir verstehen uns besser als es in der Öffentlichkeit empfunden und auch von dem ein oder anderen gewünscht wird.“ Zur massiven koalitionsinternen Kritik wegen eines ÖVP-Instagram-Posting mit Ergebnissen des Integrationsbarometers, wonach zwei Drittel der Menschen das Zusammenleben mit Muslimen als schwierig empfinden, sagt er: „Beim Inhalt des Postings handelt es sich nicht um eine Meinung, sondern um eine Studie darüber, was die Menschen empfinden. Das ist ja nichts Erfundenes, sondern der Befund der Bevölkerung.“ APA/MAX SLOVENCIK / MAX SLOVENCIK SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer Seine eigene und vielfach kritisierte Äußerung über die Diversion von ÖVP-Klubchef August Wöginger („Damit ist die Sache erledigt“) nimmt Stocker – nach der Aufhebung der Diversion – nicht zurück. Entscheidungen der Justiz müsse man nicht teilen, seien aber zu respektieren. Zudem sei er seit „mehr als 30 Jahren im Anwaltsberuf tätig und habe noch nie erlebt, dass eine Staatsanwaltschaft einer Diversion zustimmt und die Staatsanwaltschaft dann Beschwerde gegen die Diversion einlegt.“ APA/GEORG HOCHMUTH 25. November anlässlich Buchpräsentation im Parlament Kurz-Comeback? Gerüchte, wonach Sebastian Kurz ein Comeback in der Politik anstrebt und damit seinen Posten, seien zwischen den beiden „kein Gesprächsthema. Sebastian Kurz hat klar gesagt, dass seine Zukunft in der Wirtschaft liegt. Das, was in der Öffentlichkeit thematisiert wird, entspricht oft nicht der Realität.“ Was sich Stocker für die Zukunft wünscht? „Ich würde die Menschen gerne mitnehmen mit meiner positiven Einstellung, weil uns die Geschichte lehrt, was mit Zuversicht, Zusammenhalt, Fleiß und Engagement seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in diesem Land möglich geworden ist und was Österreich groß gemacht hat. Und privat wünsche ich mir neben Gesundheit, dass ich das Gewicht, das ich seit der Operation verloren habe, halten kann.“