Mads Mikkelsen im Interview: „Ich bin ein professioneller Lügner“

Cool sieht Mads Mikkelsen in der Krimikomödie „Therapie für Wikinger“ (derzeit im Kino) nicht aus – dafür sorgen eine Dauerwelle und große Brillen. Der dänische Schauspielstar verkörpert Manfred, einen Mann mit multipler Persönlichkeitsstörung. Manfred hält sich für einen Beatle und möchte gern John Lennon genannt werden. Als sein Bruder nach 15 Jahren Gefängnis zurückkehrt, will er seine Beute von damals finden. Doch nur Manfred weiß, wo sie versteckt liegt. Gemeinsam fahren sie an den Ort ihrer Kindheit zurück, wo es zu einem komischen Zusammentreffen von psychiatrischen Patienten und grausamen Gangstern auf der Suche nach Geld kommt. Mads Mikkelsen in einem Round-Table-Gespräch mit dem KURIER und anderen Medien über seine schwarzhumorige Komödie. Mr. Mikkelsen, Sie tragen in Ihrem neuen Film Miniplis und sehen recht gewöhnungsbedürftig aus. Mads Mikkelsen: Meine Frau hat sehr darunter gelitten. Wer hat Ihnen eigentlich diese Frisur verpasst? Regisseur Anders Thomas Jensen? Daran waren einige Leute beteiligt, darunter auch ich. Aber ich gehe gerne etwas weiter als alle andere. Anfänglich hieß es, ich sollte nur ein paar Locken tragen. Aber ich dachte, wenn schon, dann müssen es gleich sehr viele Locken sein. Es sollte richtig nervig aussehen. Als wäre ich irgendwo in den 80er-Jahren hängen geblieben. Sie spielen Manfred, einen Mann mit Persönlichkeitsstörung. Er möchte John Lennon von den Beatles sein. Welcher Beatle wären Sie, wenn Sie die Wahl hätten? Ringo Starr. Ringo schummelt, er hat immer noch komplett schwarze Haare. Er weigert sich, zu altern. Das muss man respektieren (lacht) . EPA/FRANCK ROBICHON Mads Mikkelsen denkt über das Älterwerden nach. Apropos altern: Sie sind heuer 60 geworden. Denken Sie über das Älterwerden nach oder ist Ihnen das egal? Ich wünschte, ich könnte sagen, dass es nur eine Zahl ist. Bis jetzt war das so. Aber die Zahl wird immer höher. Ich bin nicht eitel, was mein Alter angeht – es ist alles gut, wie es ist, und soll auch so sein. Aber wenn ich nachrechne, dann muss ich mich schon fragen: Wie viel Zeit bleibt mir noch? Und ich finde es schön hier auf der Erde, wo ich meine Kinder und Enkelkinder sehen kann. Es ist also das erste Mal, dass ich tatsächlich denke: Wow. Ich nähere mich dem Ende der Linie. Und darüber habe ich früher nie nachgedacht, denn ich habe immer in der Gegenwart gelebt. Auch jetzt ich denke nicht allzu viel darüber nach, es sei denn, es fragt mich jemand (lacht). Blicken Sie jetzt mit anderen Augen auf Ihre Karriere? Nein, ich denke überhaupt nicht über meine Karriere nach und schau auch nicht auf meine alten Filme zurück. Das interessiert mich nicht. Ich lebe in der Gegenwart. Was immer ich gerade jetzt tue, muss das Wichtigste in meinem Leben sein. Es ist Ihre sechste Zusammenarbeit mit Regisseur Anders Thomas Jensen. Was hat Sie an der Figur des Manfred gereizt? Ich habe in Jensens Filmen schon oft narzisstische oder unausstehliche Figuren gespielt. Es ging immer um Menschen, die die Welt anders sehen. Die meisten Figuren waren smart und konnten andere manipulieren. Aber Manfred ist wie ein großes, unschuldiges Kind. Das hat großen Spaß gemacht. Manfred wünscht sich, wer anderer zu sein – fast schon wie ein Schauspieler. Kennen Sie dieses Bedürfnis? Mein Job ist es, zu lügen. Ich bin ein professioneller Lügner. Ich wechsle im Jahr mehrfach meine Identitäten und habe dadurch die Möglichkeit, jemand anderes zu sein. Manchmal würde gerne Fußball spielen können wie Lionel Messi oder laufen können wie Usain Bolt. Aber jemand anders sein wollte ich nie, das mache ich beruflich. Wenn jemand Manfreds Wunsch, John genannt zu werden, nicht akzeptiert, will er sich sofort umbringen. Das führt zu skurrilen Situationen, etwa, wenn er sich aus einem fahrenden Auto wirft oder aus dem Fenster springt. Spielen Sie solche Szenen selbst? Ich habe alles selbst gemacht. Seit meiner Kindheit bin ich ein großer Fan von Buster Keaton. Was er mit seinem Körper alles anstellen konnte, war einfach unglaublich. Und nachdem ich ausgebildeter Turner und professioneller Tänzer war, bin ich ziemlich gut darin, Dinge zu tun, ohne mich dabei allzu sehr zu verletzen. Einzig bei meinem Sturz aus dem Auto musste ein Stuntman einspringen, weil es mir auf dem Beton nicht erlaubt wurde. Es war schwierig für ihn, weil sich meine Figur beim Fallen nicht mit den Händen abstützt, sondern komplett steif bleibt. Daran hat der Stuntman gekiefelt, aber er hat es dann sehr gut hingekriegt. In „Therapie für Wikinger“ werden auch sehr viele Witze über Ikea und die Gruppe ABBA gerissen. Gibt es da einen spezifisch dänisch-schwedischen Hintergrund, den man kennen sollte? ABBA ist natürlich Teil unseres kulturellen Erbes. Und mit Ikea hat es Folgendes auf sich. Da ist dieser eine psychiatrische Patient, der andauernd über Ikea daher redet. Und dann stellt sich heraus, dass sein Vater der einzige Mensch war, der je von Ikea gefeuert wurde. Und das ist tatsächlich eine wahre Geschichte. Der zweite Ikea, der je gebaut wurde, stand in Dänemark und wurde anstelle von Gelb und Blau in den dänischen Farben rot und weiß angestrichen. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Also wurde die Filiale geschlossen, und neu angemalt. Danach war es ein großer Erfolg. Aber der erste Leiter des dänischen Ikea wurde hinausgeworfen – und das hat seinen Sohn traumatisiert. Diese Geschichte ist Teil des dänisch-schwedischen Humorgefälles. Panda Filmverleih Psychiatrische Patienten gründen eine Band: Mads Mikkelsen (re.) in "Therapie für Wikinger". Die schwarzen Komödien von Anders Thomas Jensen werden fast schockartig von brutalen Gewaltszenen unterbrochen. Anders Thomas Jensen liebt viele Genres und ist beispielsweise ein großer Fan von dem ersten Indiana-Jones-Film: Für ihn ist das eine bahnbrechende Kombination aus Humor, Charme und Gewalt. Und er ist kein Regisseur, der gewaltverliebt ist. Gewalt ist nie cool bei ihm, sondern das Gegenteil. Gewalt kann auch komisch sein, aber sie weist immer über die Realität hinaus. Als Kind flüchtet sich Manfred in die Welt der Wikinger. Haben Sie sich in jungen Jahren für Wikinger begeistert? Ich hatte keine Vorliebe für Wikinger. Als ich acht Jahre alt war, wollte ich Bruce Lee sein: Der Beschützer aller kleinen Leute. Dabei war ich selbst ein eher kleiner Kerl, aber mit ziemlich großer Klappe. Ich war ein Kind aus der Arbeiterklasse und nicht besonders stark. Aber ich hätte natürlich auch ein magerer Wikinger sein können (lacht) . Sie arbeiten jetzt schon so lange mit Anders Thomas Jensen zusammen. Wie haben Sie ihn kennengelernt? Er hatte eine sehr große Klappe und war in seiner Jugend sehr provokativ, und ich hatte auch eine sehr große Klappe und war auch sehr provokativ. Wir unterhielten uns fünf Minuten lang und gerieten dann sofort in eine Prügelei. Zwei oder drei Wochen später rief er mich an und fragte mich, ob ich in seinem ersten Film mitspielen will. So haben wir uns kennengelernt (lacht) .