Das Wochenende der Stille beginnt mit großem Brimborium. Als ich, von Wien kommend, nach einer guten Stunde in Stift Altenburg aus dem Auto steige, läuten die Glocken der Stiftskirche soeben 12 Uhr mittags: laut und bombastisch. „Was für eine Begrüßung“, denke ich und „wie mächtig und heiter das doch klingt.“ Ich liebe Kirchenglocken. Für mich sind sie beruhigender Ausdruck von Konstanz, Rhythmus und Struktur – Werte, die im Leben wesentlich sind. Im Kloster auch. Dort sind sie in der Architektur sogar sichtbar. Und unsichtbar in den getakteten Gebets-, Messe- und Essenszeiten. Himmlisch! Es gibt kein besseres Wort für den Blick von der Altane des Stiftes auf das Waldviertel. Vor einem: dichte Wälder, durch die sich der Kamp schlängelt. Hinter einem: die mächtige Gebäudefront des Klosters. Ein Bollwerk, das abschirmt vor der verrückten Welt da draußen. Kein Lärm, dafür Ruhe ohne Ablenkung. Auch nicht durch Radio und Fernseher. Cordula Puchwein Die Gästezimmer sind mit schönem, altem Interieur ausgestattet. Ein Zimmer im Stift Altenburg Die Zimmer im Gästehaus kommen ohne das aus. Stattdessen: Lesestoff. In der Lade des alten Nachtkästchens liegt das meistverkaufte Buch der Welt: die Bibel als Gute-Nacht-Lektüre. „Manchmal erzählen uns Gäste allerdings, dass sie in der ersten Nacht nicht so gut schlafen, weil es bei uns wirklich, wirklich still ist“, sagt Thomas Renner, Abt des Stiftes. Für ihn ein Indiz der Reizüberflutung, der wir ständig ausgesetzt sind. Fällt sie weg, sind wir irritiert. Dann muss man erst wieder lernen, mit Stille umzugehen. Martin Mathes Ein Ort besonderer Spiritualität ist der gotische Kreuzgang von Stift Altenburg. Doch ausgerechnet sie schult das Gehör. Das Auf- und Zusperren der Zimmertüre im Gästetrakt, jeder Schritt, jedes Räuspern – alles hallt die langen Klostergänge entlang. Auch sie sind symbolhaft: für den Weg, den man geht. Für das Ziel oder den Ausweg, den man sucht. So weitläufig das Stift erst scheint, das Kloster gehört zu den kleineren, weniger touristischen. Hier ist alles intimer, persönlicher. Da schwingt man sich schneller auf das Kirchenleben ein, nimmt das eine oder andere Angebot gerne wahr. Cordula Puchwein Das Gebet hat etwas mit diesen Mauern gemacht. Diese Räume sind durchgebetet. Das merkt man, das spürt man.„ Thomas Renner, Abt von Stift Altenburg Das Morgengebet in der Stiftskirche um 6.30 Uhr schafft man vielleicht nicht auf Anhieb, die Abendhore um 18 Uhr schon eher. Mit den schönen, liturgischen Gesängen der neun Patres, die in Altenburg heute noch beten und arbeiten. Und man beginnt zu verstehen, was Abt Thomas meint, wenn er sagt, “dass die Mauern des Stiftes seit Jahrhunderten, über Generationen, durch gute und furchtbare Zeiten hinweg, durchgebetet worden sind„. Vielseitig Es mag ruhig und beschaulich in Altenburg zugehen, fad wird es aber nicht. Das Barockjuwel hat viel zu bieten. Geschichte, Kunst, Natur, Spiritualität – hier verschmelzen viele Bereiche, die es zu entdecken gilt. Und Pater Michael, Prior des Stiftes, ist der perfekte Guide. Er nimmt mich mit in die Vergangenheit – mit dem Lift, tief hinunter, ins “Kloster unter dem Kloster„. “Eine Sanierung hat vor einigen Jahren Teile des mittelalterlichen Klosters mit Mauern aus dem 12. Jahrhundert zum Vorschein gebracht. Auch Reste eines gotischen Turms, Mönchszellen und eine Kapelle. Mit diesem Kloster und dem Kloster haben wir einen besonderen Schatz„, sagt Pater Michael, stolz darauf, dass es gelungen ist, die Ausgrabungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Martin Mathes Die beeindruckende Stiftsbibliothek von Stift Altenburg mit Fresken von Paul Troger. Sichtbeton, Edelstahl und viel Glas geben der Undercover-Tour einen modernen Rahmen. Ein Erlebnis! So wie das gesamte Barockkloster, das mit seiner imposanten Bibliothek, Kaiserstiege, Sala terrena, sehenswerten Kunstausstellungen und mehr, ausgesprochen erbauliche Stunden bereitet. Der Kunstgenuss zieht sich bis in die Stiftskirche, wo Paul Troger mit “Die Offenbarung des Johannes„ eine der bedeutendsten Barockfresken in Europa geschaffen hat. Da wirbeln Putten, Engel, Drachen, Fantasiewesen auf einem Wolkenband dahin – ganz großes Barockkino! Das Kloster ist und bietet also Vieles: Kunstgenuss und Ruheinsel, Selbsterfahrung und Gemeinschaft, Spiritualität und Weltlichkeit, Enthaltsamkeit und gute Klosterküche. Stift Altenburg ist ein Ort, der Kraft und Zuversicht gibt. Wieder zu Hause, zehrt man noch lange von diesen Erfahrungen.