Besinnlichkeit und Besinnung

Heute vor einem Jahr war relativ klar, dass es eine schwarz-rot-pinke Koalition geben würde – unter der Führung von Karl Nehammer. Zehn Tage später wurde das Projekt gestoppt, wegen Inkompatibilität, und Nehammer trat kurz darauf zurück (nicht beiseite, wie sein Vorvorgänger Sebastian Kurz). Christian Stocker übernahm die Agenden, verhandelte zunächst im Auftrag des Bundespräsidenten mit FPÖ-Chef Herbert Kickl, die Gespräche scheiterten. Dann hieß es wie bei „Mensch ärgere dich nicht“ zurück zum Start, und die Wählerschaft bekam serviert, was am Weihnachtstag 2024 bereits vorgesehen war, allerdings mit neuem Kanzler. Diese paar Wochen österreichischer Zeitgeschichte haben noch einmal verstärkt, was die Jahre der Corona-Pandemie aufbereitet hatten: eine Polarisierung innerhalb unserer davor zumeist auf Konsens ausgelegten Gesellschaft. Die einen fühlen sich um die Kanzlerschaft betrogen und beharren darauf, dass ohnehin schon alles vorab ausgemacht gewesen sei. Die anderen sind überzeugt davon, dass mit den einen kein Staat zu machen sei. Und es zeigt sich jenes Phänomen nun auch in Österreich, das andernorts seit geraumer Zeit existiert: dass Regierungsparteien ab dem Moment des Regierungsantritts verlieren („Von nun an ging’s bergab“, lautet ein Liedtitel der großen Hildegard Knef) und die Opposition (also in Österreich nur ein Teil der Opposition) massiv zulegt – einerseits durch permanentes Kritisieren, andererseits durch entspanntes Zurücklehnen. In den besten Familien kommt es darob (und auch wegen internationaler Krisen) zu politischen Divergenzen, in davor vermeintlichen Freundschaften sogar zu Zerwürfnissen. Und was sich im sozial-medialen Bereich abspielt, also dort, wo jeder seinen Subwoofer ungefiltert losplärren lassen kann, ist teilweise unerträglich. Als wären Teile der Gesellschaft nicht mehr bei Sinnen. Was uns nahtlos zu Weihnachten führt – zugegebenermaßen inhaltlich eine harte Vollbremsung, aber auch das ist das Fest des Jesus-Kindes, von 100 auf 0 in wenigen Sekunden. Zumindest drei Tage Ruhe haben die meisten Menschen nun, bei geschickter Urlaubsplanung sogar wesentlich mehr. Ein häufig artikulierter Wunsch zu den Festtagen lautet „besinnliche Weihnachten“. Besinnlichkeit steht für Ruhe, auch für Einkehr, für die Hoffnung auf Frieden und ein friedvolles Miteinander. Der Wunsch nach „Weihnachten mit Besinnung“ wäre aber auch angebracht: Besinnung auf das Wesentliche, nicht nur auf persönlichen Erfolg, Besinnung auf einen Umgang miteinander, der Meinungsverschiedenheiten als Chance sieht und nicht als Boden für Hass. Erst (hoffentlich) im Kreise seiner Lieben feiern und dann Besonnenheit mitnehmen – das wären nachhaltige Weihnachten.