Wie ist es um Wiens Parteien bestellt? Wir widmen uns zum Jahreswechsel jeder Partei im ausführlichen Check. Den Auftakt macht die ÖVP. Den ersten, kleinen Schritt im Abnabelungsprozess hat Markus Figl bereits gesetzt. Vor wenigen Wochen übertrug der den Posten des Bezirksparteichefs in der Inneren Stadt an Georg Raidl . Das weitaus mächtigere Amt des Bezirksvorstehers freilich behält Figl, der nach der Wahl im April zum Landesparteichef der Wiener ÖVP aufstieg, für sich selbst. Der Job ist Figl auf den Leib geschnitten: Als Verteidiger des historischen Zentrums Wiens und seiner rund 16.000 Bewohner gefällt sich der Großneffe des einstigen Bundeskanzlers Leopold Figl besonders gut. Umfassende Phase der Selbstfindung Diese Stärke ist auch ein Manko. In der Rolle des Landesparteichefs ist Figl nämlich bisher noch nicht angekommen. Zumindest nicht in der Außenwahrnehmung. Das liegt nicht zuletzt an der Strategie, die Figl innerparteilich fährt: Er hat seiner ÖVP eine umfassende Phase der Selbstfindung und (Neu-) Orientierung verordnet. Die Wiener ÖVP sei eine „Baustelle“ verkündete Figl überraschend selbstkritisch, als er beim Landesparteitag auf der Bühne zwischen Baustellen-Requisiten zu seinen Funktionären sprach. Oder, wie man es intern formuliert: Derzeit wisse niemand, „wofür man die ÖVP in Wien eigentlich wählen soll“. Und: Solange die neuen Positionen nicht feststehen, wolle sich Figl bei heiklen Themen eher zurückhalten. Das mag klug klingen, ist im schnelllebigen Polit-Geschäft aber nicht ganz ungefährlich. Heikle Themen auf der Agenda Die ÖVP-Parteiführung hat jedenfalls – nachdem sie die Spitzengremien vorsorglich um allzu kritische Geister abgeschlankt hat – zur „Zukunftswerkstatt“ geladen, die in den kommenden Monaten (oder Jahren?) die Werte und Inhalte der Wiener ÖVP bestimmen soll. Dabei stehen einige heikle Themen auf der Agenda. Etwa der Verkehr, bei dem die Autofahrer-Lobbyisten in der Partei erst verdauen müssen, dass Figl (wieder in seiner Rolle als Bezirkschef) seit Jahren Seite an Seite mit der SPÖ für die Verkehrsberuhigung der City kämpft. Oder das Thema Familie, mit dem man sich ideologisch besonders schwertut. Progressive Funktionäre wie ÖVP-Frauenchefin Sabine Keri oder der einstige Klubobmann Markus Wölbitsch sprechen sich längst (mehr oder weniger explizit) dafür aus, den Familienbegriff weiter und inklusiver zu fassen. Der konservative Flügel rund um die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler , Gemeinderätin Caroline Hungerländer (beide aus dem 22. Bezirk) und den erzkatholischen Scharfmacher Jan Ledochowski hält intern heftig dagegen. Auch in der Migrationspolitik wird man eine Linie finden müssen. Zumindest mit Querschüssen aus dem notorisch unzufriedenen Wirtschaftsbund muss sich Figl vorerst nicht auseinandersetzen; in der Wirtschaftskammer ist man derzeit mit sich selbst beschäftigt. Schwachpunkt Bezirksorganisationen Schwachpunkt der ÖVP sind auch ihre Bezirksorganisationen: Die personelle Decke dort ist dünn, nicht überall tritt man so geeint auf, wie man sich das auf Landesebene wünschen würde. Für unschöne Optik werden im kommenden Jahr die Ermittlungen gegen den Ex-Bezirksparteichef und Nationalrat Wolfgang Gerstl sorgen, die die Staatsanwaltschaft Wien anstrengt: Gerstl wird vorgeworfen, das Amtsgeheimnis gebrochen zu haben. Er soll in seinem Heimatbezirk Penzing vor der Wien-Wahl verbotenerweise Wähler kontaktiert haben, die eine andere Liste unterstützten. Ärger gibt es 2026 wohl auch rund um zwei Ex-Parteichefs: Karl Mahrer wird ab Jänner in der Causa Wienwert vor Gericht stehen. Und Manfred Juraczka sitzt neuerdings (für ein Salär von 14.000 Euro im Monat) als Geschäftsführer in der Wirtschaftsagentur der Stadt. Der Posten war jedoch nicht ausgeschrieben worden; der Stadtrechnungshof prüft auf Antrag der Grünen. Entscheidend wird für Figl auch die Zusammenarbeit mit Bundes-Generalsekretär Nico Marchetti . Dieser ist für die zu erarbeitende Städtestrategie der ÖVP zuständig – und hat auch persönliches Interesse an Wien: Marchetti galt schon mehrfach als Kandidat für den Posten des Parteichefs. Mutmaßungen, dass bei der nächsten Wien-Wahl gar nicht Figl, sondern Marchetti für die ÖVP in den Ring steigt, halten sich jedenfalls hartnäckig. Spätestens für seine Spitzenkandidatur zum Gemeinderat müsste sich Figl aus der sicheren Bezirkspolitik verabschieden – anders wird man ihm sein Engagement auf Landesebene nicht abnehmen. Die Lücke, die Figl in der Außenwirkung hinterlässt, füllt derzeit übrigens sein Klubchef Harald Zierfuß , der im Gemeinderat dafür die institutionelle Bühne hat. Und Zierfuß füllt sie so, wie er es für richtig hält: mit ungewohnt viel Populismus. Um auf den „Schuldenberg“ der Stadt Wien hinzuweisen, ließ er vorm Budget-Gemeinderat einen rot-pinken Sandhaufen aufschütten. In die Gemeinderatssitzung brachte er der roten Finanzstadträtin Barbara Novak den dazugehörigen Spaten mit. Dass Novak maximal unsouverän reagierte und die Schaufel von SPÖ-Klubchef Josef Taucher mit spitzen Fingern entfernen ließ, sorgte bei der ÖVP für kindliche Freude. Dass sie den Spaten von der SPÖ zurückbekommen hat, ist aber wichtig: Es war der Optik nach jener, mit dem Figl beim Landesparteitag seine Baustelle aufräumen wollte. Und damit ist er längst nicht fertig.