Wie Baby Michael über die Babyklappe ein sicheres Zuhause fand

Ein Anruf veränderte alles. „Von einem Moment auf den anderen waren wir Eltern“, erinnert sich Familie Müller. Nach mehreren Fehlgeburten hatten sie bereits lange auf die Chance gewartet, ein Baby zu adoptieren – ohne zu wissen, wann oder ob dieser Moment kommen würde. Dann meldete sich plötzlich das Jugendamt: Ein Neugeborenes war im Babynest der Klinik Ottakring abgelegt worden. Für das Paar eine komplette Umstellung – zunächst war nichts vorbereitet – keine Babysachen, kein Kinderzimmer. „Das lernt man im Adoptionskurs, um sich selbst zu schützen, weil man nie weiß, wann oder ob es klappt“, erzählen die Eltern. Doch schon zwei Stunden nach dem Anruf hielten sie ihren Sohn im Krankenhaus zum ersten Mal im Arm. „Es war ein Feuerwerk der Gefühle“, erzählt das Paar. „Freude, Überforderung, ein kurzer Realitätsverlust – alles gleichzeitig. Aber zum größten Teil nur Freude.“ Erste gemeinsame Nacht Pflegepersonal und Ärzte der Klinik Ottakring begegneten der Familie mit großer Herzlichkeit. Sie durften ihre erste Nacht gemeinsam mit dem Baby im Familienzimmer verbringen. Eine Erfahrung, an die sie bis heute voller Dankbarkeit zurückdenken. Auch der Name ihres Sohnes erinnert an diesen besonderen Anfang: Der Bub wurde „Michael“ benannt – nach der diensthabenden Pflegekraft Michaela. Ein Name, den sie bewusst beibehielten. „Er gehört zu seiner Geschichte.“ Heute ist Michael drei Jahre alt – ein aufgeweckter, liebevoller, manchmal sturer Wirbelwind – ein ganz normaler Dreijährer eben, lacht seine Mutter. Für seine Eltern ist es wichtig, offen mit ihm über seine Herkunft zu sprechen. WIGEV/Bernhard Noll Das Babynest ist rund um die Uhr verfügbar und kann anonym genutzt werden. Einmal im Jahr, immer im November, besuchen sie gemeinsam die Klinik und das Babynest, jenen Ort, an dem Michaels Leben seinen Anfang nahm. Er soll das Babynest als Bestandteil seiner Normalität kennenlernen. „Wir sehen das als wichtigen Teil der Biografiearbeit“, erzählen die Eltern. „Wir sind seiner leiblichen Mutter sehr dankbar, dass sie den Mut aufgebracht hat, unserem Sohn ein besseres Leben zu schenken. Wir erzählen, dass es viele Gründe geben kann und, dass sie ihn so lieb gehabt hat, dass sie nicht an sich gedacht hat, sondern selbstlos seine Zukunft im Auge hatte.“ Das Babynest der Klinik Ottakring bietet seit 25 Jahren Menschen in Notsituationen die Möglichkeit, Neugeborene geschützt und anonym abzugeben. Der Zugang ist unbeobachtet möglich. Das Neugeborene wird durch ein Fenster oder eine Klappe in ein Wärmebettchen gelegt. Sensor löst Alarm aus Das Babynest ist rund um die Uhr geöffnet und wird videoüberwacht, wobei ausschließlich die Hände der Person gefilmt werden, die das Baby hineinlegt. Sobald die Tür geöffnet wird, löst ein Sensor Alarm aus. Ein neuerliches Öffnen der Klappe ist nicht möglich. Anschließend wird das Kind sofort medizinisch erstversorgt. Ist keine weitere Behandlung notwendig, wird es so rasch wie möglich in die Obhut einer Pflege- oder Adoptivfamilie übergeben. Insgesamt 35 Babys wurden seit Eröffnung des Babynests in der Klinik Ottakring abgelegt. Die Zahl pro Jahr schwankt – manchmal sind es zwei bis drei, in anderen Jahren keines. „Eltern, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, sich um ihr Kind zu kümmern, haben hier die Möglichkeit, ihr Baby sicher, straffrei und völlig anonym abzugeben. „Bis heute konnten alle Babys aus dem Babynest gesund in Adoptivfamilien entlassen werden“, erklärt Margarethe Maurer , Bereichsleitung Pflege der Kinder- und Jugendabteilung der Klinik Ottakring. Zwei Kinder konnten später zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren. Mütter bzw. Eltern haben 6 bis 8 Wochen lang die Möglichkeit, sich zu melden und ihr Kind doch anzunehmen. Erfolgt dies nicht, wird das Kind zur Adoption freigegeben. Kosten für die Nutzung der Babyklappe entstehen keine. Maurer: „Die meisten melden sich entweder noch am selben Tag oder dann nicht mehr.“ Eine spätere Kontaktaufnahme – auch Jahre später – ist über das Jugendamt möglich. „Michael wird vielleicht einmal Fragen stellen, die wir ihm nicht beantworten können. Sollte sich die Mutter melden, werden wir das unterstützen“, sagt Familie Müller. Warum er als Baby abgelegt wurde, spielt für die Eltern keine Rolle. „Sie hatte ihre Gründe und wir respektieren sie.“