Für Meinungsforscher Peter Hajek ist es im Hinblick auf die Dreier-Bundesregierung entscheidend, ob es 2026 zu substanziellen Verbesserungen für die Bevölkerung kommt. KURIER: Herr Hajek, das erste Weihnachten und der erste Jahreswechsel für die neue Dreier-Bundesregierung. Sie hat die Zeit von März bis jetzt überstanden, und zwar ohne viel Streit. Wie sehen Sie diese Monate? Peter Hajek: Genauso wie Sie, man hat wenig gestritten. Man hat aber auch einige Punkte vorangebracht. Es ist nicht so, dass diese Bundesregierung untätig ist. Die Umfragewerte kennen Sie, es war also ein durchwachsenes Jahr. Die Umfragewerte der Regierungsparteien sind wirklich nicht aufregend. Dabei hatten sich die Österreicher immer eine Regierung gewünscht, die nicht streitet. Bei den Vorgängerregierungen war das ja immer anders gewesen. Jetzt kommt die klassische Meinungsforscherantwort: Das sind multikausale Zusammenhänge, es gibt also nicht dieses eine Thema für die Situation. Im Land wurde schon unter Türkis-Grün eine große Unzufriedenheit aufgebaut, die sich jetzt fortsetzt. Was ist der ganz große Vorwurf an die Bundesregierung? Sie macht keine großen Reformen, sie macht Trippelschritte. Dann wiegen noch Themen wie die Teuerung und die Energiekosten schwer, nicht nur bei privaten Haushalten, sondern auch bei Unternehmen. Weitere Themen sind Migration und Integration, leistbares Wohnen, das Gesundheitssystem und auch Klima- und Umweltschutz. Die wiegen alle schwer, weil die Bevölkerung das Gefühl hat, dass einfach nichts weitergeht. Das ist auch schwer, weil in Österreich regiert das Florianiprinzip. Alle schreien nach Reformen und sagen, bei mir aber bitte nicht. Dabei hätten viele im März, als die Regierung angetreten ist, angesichts des finanziellen Drucks das Momentum für einen ganz strikten Spar- und Reformkurs gesehen. Richtig. Aber ich glaube, dass die Regierung bei manchen Dingen einfach zu zaghaft war. Man hätte die Menschen schon auf dieser Reise mitnehmen können. Ich erinnere nur daran – das lesen jetzt wahrscheinlich Mitte-Links-Wähler weniger gern –, der letzte Finanzminister, der die Menschen auf so eine Reise mitgenommen hatte, war Karl-Heinz Grasser. Das ist zwar schon 20 Jahre her. Aber dieses Momentum hat die Regierung diesmal verabsäumt. Man hat es auch in den Umfragen gesehen. Die Zufriedenheit mit der Regierung war im Vergleich zu Türkis-Grün da gestiegen. Sie war nicht überbordend groß, aber sie ist gestiegen. Danach hatten die Menschen wieder das Gefühl, es geht nichts weiter, obwohl einige Themen wie etwa die Bildungskarenz oder das Budget erledigt worden waren. Wie sehen Sie da die Rolle von Bundeskanzler Christian Stocker? Die ist schwankend. Am Anfang hat er einen großen Vertrauensvorschuss bekommen, weil man gesagt hat, endlich kein Selbstdarsteller. Ich habe einmal gesagt, er ruht in sich wie ein Buddha. Das sollte man nicht despektierlich sehen. Zuletzt hatte man aber das Gefühl gehabt, dass diese Ruhe ein bisschen zu ruhig ist. Wir haben zwar keine Richtlinienkompetenz wie in Deutschland, aber er müsste noch mehr die Linie vorgeben. Grundsätzlich steht er aber in seiner eigenen Wählerschaft auch nicht so schlecht da. Und FPÖ-Obmann Herbert Kickl? Als die Möglichkeit bestand, dass er Kanzler werden kann, gab es massive Proteste. Dennoch steigen derzeit seine Werte in der Kanzlerfrage ständig an. Vielleicht passt in der heutigen Zeit vieles nicht zusammen, wir leben in sehr unruhigen Zeiten. Dazu ein kleiner Sidestep: Ich habe ein Interview des Historikers Oliver Rathkolb gelesen, der gesagt hat, vor 120 Jahren war die Stimmung ähnlich. Auch damals haben sich die Menschen von der Schnelllebigkeit der Zeit vollkommen überfordert gefühlt. Das merkt man auch heute. Und wie sieht es da mit Herbert Kickl aus? Jetzt werden die Freiheitlichen mit dieser Antwort nicht zufrieden sein. Aber die Stärke Herbert Kickls und der FPÖ ist mitunter auch die Schwäche des Mitbewerbs. Die Kollegen vom Market-Institut haben bei einer Umfrage die Kanzlerfrage gestellt. Da liegt Kickl bei 35 Prozent, Zweiter ist der amtierende Kanzler Christian Stocker, alle anderen finden sich dahinter. Es gab da aber noch einen interessanten Wert: Ein Drittel sagt, keiner von diesen. Da ist noch Luft nach oben. Aber aktuell ist es so, dass Kickl und die Freiheitlichen nicht einmal irgendetwas machen müssen, und sie steigen dennoch in den Umfragewerten. Wenn die Umfragen nicht passen, tauchen die Gerüchte auf, dass andere Personen zurückkommen oder neu einsteigen könnten, um die Stimmung zu drehen. Bei der ÖVP wird da Ex-Kanzler Sebastian Kurz genannt, bei der SPÖ Ex-Kanzler Christian Kern. Ist das nur die Debatte einer bestimmten politischen Blase oder ist das fundierter? Die Frage ist ganz leicht zu beantworten. Wenn wir in Umfragen eine offene Frage stellen, was in der Politik geändert werden sollte, dann kommen nie neue Kandidaten vor. Wir kennen keine Umfrage mit dem Ergebnis, dass Sebastian Kurz oder Christian Kern zurückkommen sollten. Wenn wir dann gestützt fragen, wie wir es für die Kollegen von Heute vor rund einem Jahr getan haben, wo es um eine mögliche eigene Liste von Sebastian Kurz ging, da hatte nur jeder Zehnte geantwortet, dass er diese vielleicht wählen würde. Also wir merken nicht, dass es einen ganz, ganz großen Zug zu Politikern gibt, die schon einmal da waren und jetzt wieder zurückkehren sollen. Kurier/Juerg Christandl Wir stehen vor Silvester und haben mit 2026 ein Jahr vor uns, in dem keine Wahlen geplant sind. Ist das die Chance für die Regierungsparteien, sich umfragetechnisch zu erholen? Hängt das alles nur davon ab, wie sich die Inflation entwickeln wird? Sagen wir es einfach: Es müssen für die Menschen Ende 2026 substanzielle Verbesserungen dastehen. Das kann die Inflation sein, das können günstigere Energiekosten sein, das können erste Reformschritte sein, mit denen den Menschen signalisiert wird, es geht in die richtige Richtung. Hat man die Chance, dass es in den Umfragen nach oben geht und das auch in Wahlergebnisse umgesetzt werden kann? Davor warne ich immer ein bisschen, da gehört schon noch mehr dazu. Am Ende des Tages wird es davon abhängen: haben die Menschen das Vertrauen in die aktuelle Bundesregierung wiedergewonnen? Aber nicht nur in die Regierung, sondern in die gesamte Politik, denn das ist insgesamt wirklich angeschlagen. Es kommt dazu, dass ab 2027 Landtagswahlen anstehen und die ÖVP Gefahr laufen könnte, ein bis zwei Bundesländer an die FPÖ zu verlieren. Dann ist da noch der Bundesparteitag der SPÖ, der sich auf die Koalition auswirken kann. Da sind gleich ein paar Themen auf einmal. Dazu in aller Kürze: Der Sozialdemokratie sei angeraten, dass sie den Parteitag in aller Ruhe über die Bühne gehen lässt und dass jetzt Debatten über Führungspositionen, meiner Ansicht nach, wenig Sinn haben. Das kann man sich für einen späteren Zeitpunkt aufheben. Der ÖVP – und auch den Sozialdemokraten – muss man sagen, dass ich mein Wohl und Wehe nicht davon abhängig machen kann, ob irgendwer Landeshauptmann bleibt. Da muss man als Bundesregierung sagen: Augen zu und durch. Jetzt wissen wir aber, dass die Landesparteien in der ÖVP und der SPÖ sehr mächtig sind. Richtig. Aber ich schreibe den Landesparteien ins Stammbuch, dass sie sich hinsetzen sollen, um mit der Bundesregierung ordentliche Reformen zu machen. Es wird ihnen am Ende des Tages nützen. Rechnen Sie damit, dass die Koalition 2026 auseinandergehen könnte, oder ist das unwahrscheinlich? Ich habe in meinem Leben schon viel ausgeschlossen, das dann dennoch eingetreten ist. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die Regierung nächstes Jahr im Amt bleibt, ist größer, als dass sie auseinandergeht.