Von Schul- bis Freizeitstress: Überforderung und Druck nehmen zu

Wenn zu Weihnachten die erste Schularbeiten-Runde überstanden ist und viele Familien in den Ferien einen vorsichtigen Blick auf das kommende Semesterzeugnis werfen, zeigt sich nicht nur, wie gut der Lernstoff sitzt. Gerade in dieser Phase wird sichtbar, wie sehr Schule, Erwartungen und Alltag an vielen jungen Menschen zehren. Denn die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen in Österreich ist hoch. Zwar gaben 73 Prozent der Jugendlichen im Rahmen der Mental Health Days Studie 2024 an, grundsätzlich mit ihrem Leben zufrieden zu sein, vor allem dank Freundschaften, Familie und Gesundheit. Doch gleichzeitig zeigt sich eine deutliche Schattenseite: Knapp die Hälfte fühlt sich im abgefragten Zeitraum von zwei Wochen an mehreren Tagen müde, lustlos oder emotional erschöpft. Zwei Drittel kämpfen mit depressiven Verstimmungen. Besonders besorgniserregend: Mehr als ein Viertel der Jugendlichen berichtet in der Studie von Suizidgedanken – zumindest an einzelnen Tagen. Streben nach Perfektion Hinzu kommt ein stetig wachsender Leistungsdruck: Fast die Hälfte aller Jugendlichen strebt nach Perfektion – ein Anspruch, der laut Expertinnen und Experten zunehmend zur Belastungsfalle wird. „Ich höre immer wieder, dass Kinder und Jugendliche dem Druck von außen kaum noch standhalten – sei es von der Schule oder sogar von den Eltern. Sie sollen besser sein als gestern, besser als die anderen“, sagt Kindermental- und Legasthenietrainerin Sabine Robar. Die Lockdowns während er Corona-Pandemie hätten diese Entwicklung zusätzlich verschärft: „Erst waren die Kinder monatelang isoliert, dann standen sie plötzlich wieder im Klassenzimmer, konfrontiert mit alten Erwartungen und neuen Ängsten. Viele seien mit Versagensgefühlen zurückgekehrt und hätten Angst, ausgelacht zu werden.“ Freizeitstress statt Erholung Druck entsteht jedoch längst nicht mehr nur in der Schule. Auch der Nachmittag ist häufig verplant, oftmals dichter als der Kalender mancher Erwachsener. „Wenn ich einen Termin mit neuen Trainingskindern vereinbaren möchte, herrscht meist Terminknappheit : Da ist Fußball, dort Klettern, Musik, Nachhilfe. Ich befürworte Hobbys – aber was ich oft erlebe, ist reinster Freizeitstress.“ Besonders Jugendliche, die bis spätnachmittags Unterricht haben, würden kaum mehr Momente zum Durchatmen finden. Der Ursprung des auferlegten Drucks ist unterschiedlich. Manche Kinder seien hochmotiviert und wollten selbst Leistung bringen. Bei anderen komme die Taktung hingegen von außen. „Viele Eltern sind nach der Arbeit erschöpft. Nicht alle schaffen es, sich abends noch Zeit zu nehmen, um gemeinsam zu lesen oder zu spielen. Doch das ist es, was Kinder am meisten brauchen – die gemeinsame Zeit." Burnout trifft auch die Jüngsten Was lange als Phänomen der Arbeitswelt galt, ist mittlerweile auch in den Kinderzimmern angekommen: Burnout . „Kinder können genauso ausbrennen wie Erwachsene“, sagt Robar. „Sie brennen vielleicht nicht für einen Job, aber für Anerkennung, für Erfolg.“ Die Entwicklung beginne häufig schleichend. Gerade in der zweiten Volksschulklasse, wenn plötzlich anspruchsvollerer Stoff dazukommt, steigen Druck und Vergleiche oft rasant. Sie erzählt von einem Volksschüler, der plötzlich ständig müde war, unter Bauch- und Kopfschmerzen litt und bei Schularbeiten regelrecht panisch wurde. Am Ende stellte sich heraus, dass er Legastheniker war – eine Diagnose, die alles veränderte. „Als ihm endlich erklärt wurde, warum ihm bestimmte Dinge schwerfallen, fiel eine enorme Last von ihm ab. Er ging wieder gern in die Schule.“ Fazit: Immer auf Ursachenforschung gehen. Manchmal liegen hinter einer Überforderung Schwächen, die sich durch gezieltes Training ausbügeln lassen. Manchmal reicht auch ein falsches Wort, das Schüler in den Rückzug treibt, erzählt Robar aus ihrer Praxis. Ernstzunehmende Warnsignale Viele Kinder zeigen Symptome, die Erwachsene an sich selbst bei Überlastung gut erkennen würden – Müdigkeit, Leistungsabfall, Antriebslosigkeit , diffuse Schmerzen oder morgendliche Übelkeit. Manche ziehen sich zurück, wirken gereizt oder reagieren aggressiv. Andere verlieren ihren Appetit oder schlafen schlecht. Oft wird all das der Pubertät zugeschrieben oder als „Phase“ abgetan. „Aber wenn ein Kind früher gern in die Schule gegangen ist und plötzlich über Bauchweh klagt, sollte man genauer hinsehen“, sagt Robar. Auffällig sei auch, dass viele betroffene Kinder ständig erkältet oder krank seien – ein Zeichen, dass ihr Körper kaum Erholung bekommt. Echte Aufmerksamkeit und gelebte Nähe Für Robar beginnt Prävention deshalb im Alltag – nicht als starres Konzept, sondern als Haltung. „Das Wichtigste ist, Kindern zuzuhören und ihre Sorgen ernst zu nehmen. Probleme wegzuwischen bringt gar nichts.“ Zeit miteinander sei oft wertvoller als jeder Kursplan. Gemeinsame Aktivitäten, Bewegung im Freien oder auch nur ein Spaziergang könnten helfen, Stress abzubauen. Digitale Ablenkungen hingegen seien keine Erholung: „Handy oder Computer lassen das Stresslevel eher steigen. Kinder wirken am Handy zwar ruhig, aber im Körper passiert das Gegenteil.“ Wünsche äußert die Expertin auch an die Politik. Die tägliche Turnstunde halte sie grundsätzlich für eine gute Idee, doch die Umsetzung sei problematisch. „Wenn eine zusätzliche Stunde dazukommt, aber nichts aus dem Stundenplan gestrichen wird, bleibt die Belastung gleich – nur die Struktur wird enger.“ Ihr größter Wunsch sei ein Schulsystem, in dem Lernen und Lehren wieder Freude machen dürfen.