Der Professor als Kommunikator: Markus Hengstschläger rührt unverdrossen die Werbetrommel für die Wissenschaft. KURIER: Wie bringen Sie eigentlich Ihre vielen Funktionen unter einen Hut? Markus Hengstschläger: An einer medizinischen Universität hat man viele verschiedene Dinge zu tun: Lehre, Forschung, Innovation, Patientenbetreuung. Dazu kommen ethische Fragen. Und schon entsteht ein großes Spektrum. Sie sind auch ein Wissenschaftskommunikator. Manche Forscher scheuen das aus Angst, dabei zu banal rüberzukommen. Da hat sich in den letzten Jahren viel geändert, Wissenschaftskommunikation gehört heute dazu. Sich diesbezüglich fortzubilden, sollte für Uni-Angehörige verpflichtend sein, besonders für Führungskräfte. Umgekehrt habe ich Sorge, dass der gute Wissenschaftsjournalismus in Sparzeiten unter Druck gerät. Herrscht nicht hohe Wissenschaftsskepsis in Österreich? Ich glaube nicht, dass das stärker ist als in anderen Ländern. Aber wir haben vielleicht einen besonders hartnäckigen Kern, quer durch alle Bevölkerungsgruppen, der sehr schwer erreichbar ist. Da müsste man mehr tun. Ich mag das Wort Wissenschaftsskepsis übrigens nicht, weil ich Skepsis prinzipiell super finde. Kurier/Juerg Christandl Es kommen immer mehr Kinder durch in vitro auf die Welt. Lässt man sich zu lange Zeit mit dem Kinderkriegen? Da muss man immer wieder daran erinnern, dass es mit höherem Alter nicht einfacher wird, Kinder zu bekommen. Wir diskutieren ja gerade über das „Social Egg freezing“ – das Aufbewahren von Eizellen für später, wenn der richtige Partner da ist oder es beruflich besser passt. Noch ist es nicht erlaubt. Aber die Höchstrichter haben grünes Licht gegeben. Sind Sie dafür? Eindeutig, ja. Wie sehr ist der Mensch durch seine Gene beeinflusst? Die medizinische Genetik beschäftigt sich mit der Rolle der Gene bei der Entstehung von Erkrankungen. Überschätzt werden Gene oft beim Talent. Wenn man das nicht entdeckt und trainiert, kommt gar nichts raus. Was halten Sie vom Megatrend Longevity? Und was muss man tun, um gesund alt zu werden? Ich bin da sehr vorsichtig, es ist schon viel Geschäftemacherei dabei. Am Ende läuft es sehr oft auf die ohnehin bekannten Faktoren hinaus: Übergewicht, Stress, Alkohol, Rauchen sollte man halt beachten. Es gibt ja sogar Bluttests privater Firmen, um zu erfahren, welche Vitamine und Spurenelemente man einnehmen sollte. Viele Menschen brauchen solche Tests nicht, aber im Einzelfall können sie schon hilfreich sein – wenn man zum Beispiel einen Mangel an irgendetwas feststellt. Was halten Sie von einer Gen-Bestimmung, um festzustellen, welche Krankheiten man möglicherweise künftig erleiden könnte? Nach dem österreichischen Gentechnikgesetz muss man zuerst zu einer genetischen Beratung gehen. Zum Beispiel, weil es bestimmte Krankheitsfälle in der Familie gibt oder bestimmte Symptome auftreten. Nur bei medizinischer Indikation gibt es bei uns eine genetische Untersuchung. Allerdings kann man privat Tests kaufen, zu Hause eine Speichelprobe abnehmen und einschicken. Dabei fehlt mir aber die Beratung, weil man mit solchen Diagnosen auch unnötige Sorgen auslösen kann. Vor 15 Jahren haben Sie ein Bildungsbuch unter dem Titel „Die Durchschnittsfalle“ geschrieben. Meine Idee war, dass man sich mehr mit den Talenten des Menschen beschäftigen muss. Leider ist seither nichts passiert, obwohl mir so viele Leute recht gegeben haben. Hätte es Sie jemals gereizt, in die Politik zu gehen? Nein, einfach, weil ich meinen Traumberuf habe. Wie wirkt sich Künstliche Intelligenz auf die Wissenschaft aus? Das wird alles verändern. Der neue Begriff ist Präzisionsmedizin: Man kann maßgeschneiderte Medikamente entwickeln, weil wir die Unmenge – auch genetischer – Daten besser analysieren können. Aber dazu brauchen wir auch eine ethische Diskussion: Haben wir die richtigen Daten, werden sie zur Verfügung gestellt, wie schaut es mit Datenschutz aus? Kümmert sich die Politik genug um Ethik-Themen? Immer nur dann, wenn ein Anlass da ist. Aber sonst ist noch viel Luft nach oben. Haben Sie Verständnis für Technikmüdigkeit bei den Menschen? Ich bin nicht technikmüde. Für mich geht’s nie schnell genug – vor allem, weil es noch immer Tausende genetische Erkrankungen gibt, für die wir keine Therapie haben. Aber der Mensch muss im Mittelpunkt bleiben. Warum haben Sie die Veranstaltung „Impact Lech“ gegründet? Das ist ein Highlight in meinem beruflichen Leben. Dass verschiedene Disziplinen – Wissenschaft, Wirtschaft, Industrie, Sport, Kultur, Medien – über ein Thema diskutieren, passiert in Österreich zu selten. Nächstes Jahr reden wir über das „Zeitalter der Daten“. Wofür hätten Sie selbst gerne bessere Gene? Ich habe in meiner Jugend Gitarre und Klavier gelernt, aber obwohl ich brav übte, habe ich schnell festgestellt, dass „Let it be“ niemals von mir hätte sein können. Also dieser Bereich wäre cool gewesen, weil mir das einfach irrsinnig taugt! Gibt es Situationen, wo selbst Sie Ihren Humor verlieren? Wenn ich in Runden sitze, wo Menschen über ihr Leben klagen – über Stress im Beruf und in der Beziehung –, dann erzähle ich von den Ausnahmefällen, wo wir über genetische Diagnostik festgestellt haben, dass ein Kind eine sehr schwere Erkrankung hat. Wenn man einmal eine Familie darauf vorbereiten musste, dann weiß man, dass es auch Zeiten gibt, wo Humor nichts verloren hat. Grundsätzlich bin ich aber ein sehr positiver Mensch. Kurier/Juerg Christandl