"Aufputzt is'" stürmt ewige Hitliste: Wer belächelt noch "Kabarettfilme"?

„Klingelingelingelingeling“ singt Kabarettist Gery Seidl in seinem Lied zum Film „Aufputzt is’“. Als er den Song aufnahm, wusste er noch nicht, dass damit auch das Geräusch an den Kinokassen gemeint sein könnte. Kurz vor Weihnachten übersprang der Film die Schallmauer von 300.000 verkauften Karten, was mit einem „Golden Ticket“ gewürdigt wird. Auch nach Weihnachten matcht sich die saisonale Komödie weiterhin mit internationalen Hits wie „Zoomania 2“ und liegt seit Samstag bei rund 350.000 Kinobesuchern. Damit ist ein Platz unter den Top 5 der letzten 50 Jahre bereits sicher (siehe unten ). Außerdem wurde ein maues Kinojahr für heimische Filme mit einem Schlag zu einem recht guten. Mehr als die Hälfte aller verkauften Tickets für österreichische Kinoware gehen heuer auf das Konto des Films der Gebhardt Productions. Auf die Frage, ob der Erfolg für ihn absehbar gewesen sei, sagt Hauptdarsteller Gery Seidl: „Dass ein Weihnachtsfilm für Kleinkind bis Omi – wenn man ihn wirklich auch so baut – kein Nischenprogramm ist, das war uns schon bewusst.“ Für ihn sei schon die erste Hürde gewesen, „das Vertrauen geschenkt zu bekommen, überhaupt zum ersten Mal eine Hauptrolle zu übernehmen. Und darum freut es mich doppelt und dreifach, dass dieses Vertrauen nicht enttäuscht wurde.“ Bei einer Aufführung in Tulln habe er eine ältere Dame getroffen, die meinte, sie schaut sich ihn jetzt zum fünften Mal an. Ein jüngerer Mann wiederum habe rückgemeldet: „,Ich bin der Andi.‘ Weil er auch diesen Spagat zwischen Familie und Firma mache, und merkt: Irgendwie geht sich alles nicht wirklich aus in meinem Leben und jetzt kommt auch noch Weihnachten. Offensichtlich haben wir da den Zeitgeist berührt.“ Viele würden sich auch in Steffi (Marlene Morreis) wiederfinden, „die im Job, als Ehefrau, Mama, Tochter und sogar als Ex-Frau funktionieren muss“. Vor „Griechenland“ Kurz vor Weihnachten konnte der auf Seidls gleichnamigem Kabarettprogramm basierende Film auch den Stipsits-Hit „Griechenland“ aus 2023 überflügeln, der mit 287.000 der bis dahin besucherstärkste österreichische Film des Jahrzehnts war. Thomas Stipsits, der auch eine Gastrolle in dem Seidl-Film hat, kommentiert den Erfolg von „Aufputzt is’“ so: „Es ist wunderbar, zu sehen, dass die österreichische Komödie die Menschen ins Kino bringt und sie glücklicher entlässt, als sie kamen.“ Der mehrfache ROMY-Preisträger zieht aber auch ein bitteres Resümee: „Oftmals werden unsere Filme als ,Kabarettfilme‘ abgewertet und belächelt. Angesichts der Besucherzahlen von ,Aufputzt is‘ darf man sich die Frage stellen, wer jetzt lacht. Ich auf alle Fälle.“ Regisseurin Claudia Jüptner-Jonstorff , die für beide Filme verantwortlich zeichnet, sieht die Zuschreibung Kabarettfilm weniger kritisch – wie sie bei einem KURIER-Setbesuch im Vorjahr sagte: „Ja, das hat damals mit „Muttertag“ (1993) begonnen und ist dann zum Selbstläufer geworden. Nach 2000 gab’s eigentlich wenig Komödien. Jetzt hat ,Griechenland‘ wieder so richtig den Startschuss gegeben. Ich glaube, die Leute sehnen sich danach, sich im Kino positiv unterhalten zu lassen. Was nicht heißen soll, dass es das andere nicht auch geben soll und muss. “ Böse gemeint Sie arbeitete davor – noch als Regieassistentin – mit Harald Sicheritz zusammen, der mit Komödien wie „Hinterholz 8“ und „Poppitz“ die größten heimischen Kinoerfolge abgeliefert hat. Sicheritz selbst sagt: „Ich hab’ den Begriff mit ausgelöst, aber nicht erfunden. In den Neunziger Jahren habe ich zur Kenntnis genommen, dass irgendjemand gesagt hat, das ist ein Kabarettfilm. Man gewöhnt sich an Begriffe, auch wenn es völlig sinnbefreit ist, von Kabarettfilm zu sprechen. Das war seinerzeit auch eher böse gemeint, was es heute gar nicht mehr sein kann, weil der Erfolg von Filmen in diesem Grobgenre einfach für sich spricht.“ Jüptner-Jonstorff habe das „sehr solide hingestellt“, sagt Sicheritz. „Es kann sich lohnen, wenn man die Menschen im Großen wahrnimmt und nicht nur nach speziellen Interessenslagen. Natürlich ist Film eine Kunstform und da gehören alle möglichen Experimente hin. Aber dass man dem Mainstream auch etwas geben kann, beweist ja gerade dieser Erfolg.“ Kein Selbstläufer Dass dieses Grobgenre kein Selbstläufer ist, zeigen die Zahlen der zweiten Komödie der Musikkabarettisten Pizzera und Jaus: "Neo Nuggets" kam heuer bei 74.345 Zuschauern zu liegen, nachdem der Vörgänger "Pulled Pork" 2023 noch 112.640 Tickets verkaufte. Beträchtlich ist auch der Quotenrückgang bei der TV-Reihe „Weber & Breitfuß“ mit den Kabarettlegenden Alfred Dorfer und Roland Düringer, die 2022 noch mehr als eine Million ORF-Zuseher hatte, und nun nach einem starken Rückgang bei den Folgen 3 und 4, nicht fortgesetzt werden dürfte. Sicheritz, der die  Folgen 1 und 2 inszenierte, sieht „mehrere Ursachen“, aber eine sei, „dass das nach dem erfolgreichen Start keine Struktur gekriegt hat. Es hat viel zu lange gedauert, bis der nächste Teil gekommen ist.“ Pragmatisch sieht auch Gery Seidl die Kabarettfilm-Frage: „Wenn Kabarettisten einen Film machen und es dann für viele Österreicher automatisch ein Kabarettfilm ist, wehre ich mich nicht dagegen , weil am Ende des Tages ist es sowieso das, was es ist und wie dann jeder Einzelne das benamst, sei ihm überlassen .“ Über den Erfolg von Komödien sagt er: „ Humor ist ja grundsätzlich die schwierigste Disziplin. Jemand in eine Stimmung zu bringen, wo man sich mit einem stumpfen Gegenstand die Pulsadern aus dem Leib reißen will, ist bedeutend einfacher, als jemanden zum Lachen zu bringen. Und ohne, dass andere drauf zahlen. Das ist zumindest mein Anspruch an Humor. Also insofern gibt es nicht so viele Menschen, die Komödien schreiben und auch nicht so viele Komödien, die tatsächlich funktionieren." Zudem seien Komödien, das, "was die Leute zurzeit brauchen, weil für den Rest haben wir eigentlich die Zeit im Bild. Oder eine Parlamentsdebatte am Vormittag. Da brauche ich keine Tragödie mehr. Und wenn ich mir anschaue, dass der Herr Babler am Hebel sitzt, ob Fördertöpfe für den Kunst- und Kulturbetrieb auf- oder zugemacht werden, rettet mich eigentlich nur mehr die Komödie.“ Manchmal denke er sich: "Kinder, wir sollten uns überlegen, ob wir wirklich am besten Weg sind für uns alle. Und das vergisst du mit Sicherheit, wenn du in diesem Film sitzt. Das spielt uns, glaube ich, auch  in die Hände.“ Noch Potenzial in der "Zwischenkriegszeit" Für „Aufputzt is‘“ sieht er nach Weihnachten noch Potenzial. „Vielleicht sagen sich viele: Es war vorher keine Zeit und jetzt ist, wie ich immer sage, diese Zwischenkriegszeit zwischen Weihnachten und Silvester. Aber mein Lebensglück ist nicht von Besucherzahlen abhängig. Das ist vielleicht mein größter Bonus.“ Mit Co-Star Thomas Mraz arbeitet er zwar an neuem Material, sagt aber: „Ich möchte nicht nur einen Film machen, um in dieselbe Kerbe zu schlagen. Für mich ist das Wichtigste, dass es Spaß macht. Wenn das wieder gelingt, wird es wieder einen Film geben.“