CSU-Fraktionsführer Klaus Holetschek war anlässlich eines Vernetzungstreffens mit der ÖVP und der Südtiroler SVP in Wien. Aus diesem Anlass befragte ihn der KURIER zu aktuellen Themen. Seine wichtigste Botschaft: Die Politik der Mitte muss wieder die Debatten bestimmen, die Menschen müssen ihr vertrauen. Das sei die wirksamste Maßnahme gegen die radikalen Ränder. KURIER: Herr Holetschek, vor wenigen Wochen gab es Terrorwarnungen in Bayern. In Sydney forderte ein antisemitisches Attentat 15 Todesopfer . Wie sieht man diese antisemitischen Vorfälle in Bayern? Klaus Holetschek: Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels und kämpfen mit aller Macht gegen den Antisemitismus. Ganz aktuell bewirbt sich Bayern auch um eine Außenstelle von Yad Vashem. Hierfür habe ich in Wien große Zustimmung gespürt, unter anderem von Staatssekretär Alexander Pröll und Oskar Deutsch von der Israelitischen Kultusgemeinde. Aber auch Harald Stauder, Vorsitzender der SVP-Fraktion im Südtiroler Landtag, unterstützt die Initiative. Wir gehen in Bayern entschieden vor, um Antisemitismus von allen Seiten zu bekämpfen. Von allen Seiten heißt: von rechts, von links und auch von jenem Antisemitismus, der mit der Migrationsbewegung ins Land gekommen ist? Selbstverständlich. Wir haben einen starken Ministerpräsidenten, der ein Schutzversprechen für alle Jüdinnen und Juden abgegeben hat. Bei uns gilt: Null Toleranz für Judenhass und Antisemitismus, egal von welcher Seite. Wir erinnern uns an das Jahr 2015, an die große Flüchtlingswelle. Seither kämpfen Staaten wie Österreich und Deutschland mit der Integration. Wie sieht es da in Bayern aus? Bei der Integration steht Bayern vergleichsweise gut da, weil viele Menschen, die gekommen sind, Arbeit haben. Mit mehr als 75 Prozent haben wir deutschlandweit die höchste Erwerbstätigenquote von Menschen mit Migrationshintergrund. Wir haben aber auch illegale Migration in den Sozialsystemen des Landes verspürt. Deswegen ist es jetzt richtig, dass Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann eine konsequente Linie bei den Abschiebungen fahren. Mittlerweile gibt es mehr Aus- als Einreisen. Wir haben die Bezahlkarte eingeführt, setzen auf strengere Kontrollen und schnellere Verfahren. Dadurch haben wir einen Rückgang des Zulaufs um die Hälfte. Natürlich gibt es in den Kommunen noch immer Spannungen. Aber es ist zunehmend zu spüren, dass dieser Politikwechsel, der eine ganz entscheidende Zusage vor der Wahl war, bei den Menschen auch ankommt. Wann enden die Grenzkontrollen? In Österreich spürt man diesen Politikwechsel durch die Grenzkontrollen zu Bayern. Wird das zu einem Dauerzustand? Nein. Wir alle wollen, dass irgendwann einmal keine Grenzkontrollen mehr notwendig sind. Aber es war richtig, dass Alexander Dobrindt vom ersten Tag an das, was versprochen worden ist, auch umgesetzt hat. Und dass die europäischen Innenminister jetzt eine Lösung gefunden haben: Zu sagen, Aufnahmen sind auch außerhalb Europas möglich. Ist man da bezüglich der Konsequenz auf einem gemeinsamen Kurs mit Österreich? Eine Zeit lang wusste man nicht genau, wie in Berlin darüber gedacht wird. Ich habe das Gefühl, dass unsere Länder eine gemeinsame Linie fahren. Es bleibt ja dabei: Wir wollen Menschen helfen, die wirklich Schutz brauchen. Was wir aber nicht hinnehmen können, ist der illegale Zulauf. Da müssen wir konsequent sein und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die wir haben. Auch bei den europäischen Innenministern gibt es mittlerweile eine große Einigkeit, wie etwa die Beschlüsse zu Asylzentren in Drittstaaten zeigen. APA/dpa/Patrick Pleul / Patrick Pleul Die Grenzkontrollen an der österreichisch-bayerischen Grenze sorgen immer wieder für Unmut bei den Autofahrern. Also gibt es nun auch eine Einigkeit zwischen Berlin und München. Bei uns hatte man immer den Eindruck, die Bayern sind konsequenter als die Hauptstädter. Natürlich war das mit der Vorgängerregierung schwieriger. Der Kanzler hat die neue Linie ja vor der Wahl deutlich gemacht: Er werde vom ersten Tag an den Innenminister anweisen, einen konsequenteren Kurs in der Migrationspolitik zu fahren. Das war auch eine Folge der Anschläge und Angriffe von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg, bei dem sogar ein Kind getötet wurde. Diesen versprochenen Kurswechsel hat Merz umgesetzt. Auch mit voller Unterstützung aus Bayern. In Österreich und in Deutschland ist es auch ein Thema, dass man bei der Zuwanderung ins Sozialsystem zu lange zugeschaut habe. Wie kommt man da in Deutschland wieder heraus? Wir müssen das Bürgergeld reformieren. Das Kabinett hat zuletzt ja die neue Grundsicherung beschlossen, auch mit härteren Sanktionen. Das ist mit dem Koalitionspartner SPD aber ganz schwer möglich. Aber das wird kommen, und es ist auch wichtig. Vorneweg: Ich bin ein großer Anhänger des Sozialstaats, aber wir müssen ihn wieder auf seinem Kern zurückführen. Sprich Hilfe für die, die wirklich Hilfe benötigen. Wer arbeiten kann, soll auch arbeiten gehen und dafür belohnt werden. Menschen, die in der Früh aufstehen, um zur Arbeit zu gehen und das Land am Laufen halten. Wir brauchen funktionierende und zukunftsfähige Systeme, um jetzt mutige Reformen anzugehen, beispielsweise in der Pflege. Das heißt, keine überbordenden Transferleistungen – und den Wert von Arbeit wieder mehr zu betonen. "Aus vom Verbrenner-Aus sieht nach Scheinlösung aus" Wenn es darum geht, das Land am Laufen zu halten, hat Österreich viel Hoffnung in Deutschland gesetzt. Dass dort rund 500 Millionen Euro für den Aufschwung investiert werden und wir auf dieser Welle mitfahren können. Bisher hat man noch nicht so den Eindruck, dass das alles so funktioniert. Wir alle spüren, dass die Wirtschaft noch nicht wieder angesprungen ist. Das liegt vor allem an den immer noch hohen Energiepreisen. Man hat einiges getan, die Stromsteuer gesenkt, einen Industriestrompreis eingeführt. Das sind alles wichtige Maßnahmen. Darüber hinaus müssen wir die Bürokratie zurückbauen. Auch da ist schon einiges passiert, aber die Leute spüren es noch nicht. Entbürokratisierung ist eine Daueraufgabe mit großer Dynamik, auch für die Wirtschaft. Besonders, was unsere Leit-Ökonomie, die Automobilindustrie, angeht, müssen wir am Ball bleiben. Da gibt es nun auf EU-Ebene das Aus vom Verbrenner-Aus. Die Abkehr vom Verbrenner-Aus ist ein gutes Signal und sichert Arbeitsplätze, aber die beschlossene Regelung darf keine Mogelpackung sein. Die vorgestellten Quoten für Großkunden, Dienst- und Mietwagen benachteiligen Deutschland gegenüber anderen Ländern massiv. Hier muss schnell nachgebessert werden und es darf keine Auflagen geben, die das Aus vom Verbrenner-Aus indirekt aushebeln. Ich hoffe auch, dass die 10 Prozent noch mehr werden. Im Moment sieht das Ganze eher nach einer Scheinlösung aus. Da muss sich die EU noch deutlich bewegen. In München hätte man das Aus vom Verbrenner-Aus gerne noch konsequenter gehabt? Das wäre richtig gewesen. Wir müssen Ökonomie und Ökologie zusammen denken. Ich bin in einer C-Partei, CSU. Für mich ist das Bewahren der Schöpfung etwas ganz Zentrales – das Weitergeben an die nächste Generation. Aber wir dürfen den Klimaschutz nicht isoliert betrachten. Sonst haben wir eine Deindustrialisierung, und davon hat auch keiner etwas. EPA/JUSTIN LANE Die Bayern hätten sich ein konsequenteres Aus vom Verbrenner-Aus gewünscht. Jetzt haben Sie mit Ursula von der Leyen eine CDU-Politikerin an der Spitze der EU-Kommission. Eigentlich hätte da vieles schneller gehen müssen. Stimmt, das würde auch ich mir wünschen. Aber es passiert ja auch viel. Das Lieferkettengesetz wurde abgeschwächt, die Entwaldungsverordnung wurde zurückgesetzt. Man darf nicht alles in Bausch und Bogen verurteilen. Aber beim Aus vom Verbrenner-Aus geht sicher noch mehr. Und wir müssen die EU dringend entbürokratisieren. Europa muss näher zu den Menschen rücken. Ein Europa der Regionen ist die richtige Zielsetzung, die wir umsetzen müssen. Klaus Holetschek: "Geht um den Kampf gegen die Radikalen" Sie haben sich in Wien mit Vertretern der ÖVP getroffen. Da muss erkannt worden sein, dass es um die gleichen Probleme geht: Entbürokratisierung, Energiekosten, Wirtschaftsaufschwung etc. Wer hat da wem einen Rat geben können? Wir haben die gemeinsame Idee, dass wir uns noch besser vernetzen müssen, weil wir tatsächlich die gleichen Themen haben. Was ich im KURIER über das Thema Gesundheit lese, über die Zwei-Klassen-Medizin , das ist auch bei uns ein Thema. Die Leute wollen, dass wir ihre Alltagsprobleme lösen – und nicht, dass wir erklären, für was wir nicht zuständig sind und warum etwas nicht geht. Wir brauchen wieder eine DNA, wie es geht, und zwar auf allen Ebenen. Da geht es auch um den Kampf gegen die Radikalen, den wir gemeinsam führen. Wir wollen alle, dass die Extreme zurückgedrängt werden, dass wir Politik aus der Mitte der Gesellschaft machen, dass wir die Debatten bestimmen und dass uns die Menschen vertrauen. Denn dann werden auch wieder die radikalen Ränder an Bedeutung verlieren. Was der Unterschied zwischen Wien und Berlin ist: Die Dreier-Koalition hier arbeitet besser zusammen und benötigt nicht für jedes Thema einen Koalitionsgipfel, wie das mit der SPD notwendig ist. Es gibt einen Koalitionsausschuss, der auch Ergebnisse liefert. Das finde ich positiv. Aber man muss auch verstehen, dass beide Parteien ihre eigenen Geschichten haben. Diese Koalition ist zum Erfolg verdammt. Sonst passiert 2029 etwas, das keiner von uns will. Bei uns ist es die FPÖ, in Deutschland ist es die AfD. Warum ist es so schwierig, gegen deren Art der Politik anzukommen? Erstens ist das eine populistische Politik, die viel verspricht. Von Menschen, die extrem und radikal sind. Und zweitens haben wir in Deutschland in der Ampelzeit versäumt, die Probleme der Menschen tatsächlich zu lösen. Wir haben uns vielmehr über abstrakte Dinge unterhalten, wie Wokeness oder Gendern. All diese Sachen, wo viele Leute gar nicht verstanden haben, worüber da geredet wird und warum das wichtig sein soll. Auf der anderen Seite wird meine Wohnung teurer, meine Bahn fährt nicht, der Arztbesuch wird schwieriger – das alles muss man jetzt aufholen. Und gleichzeitig existiert eine Bürokratie, die man auch nicht von heute auf morgen umdrehen kann. Wir haben jetzt in Bayern vier Entbürokratisierungsgesetze mit 700 Einzelmaßnahmen beschlossen, aber die Leute spüren es halt noch nicht. Wir brauchen einen Mentalitätswandel, weg von immer mehr Kontrollen, hin zu mehr Vertrauen. Das alles macht es so komplex. kurier/Wolfgang Wolak Ist da nicht auch die Migration ein zentrales Thema, das für alles herhalten muss? Die Migration ist zweifelsfrei eines der zentralen Themen. Besonders hier ist der Richtungs- und Politikwechsel schon zu spüren. Aber auch die sozialen Fragen haben das Potenzial, die Menschen weiter zu radikalisieren oder eben auch nicht. Ist die Pflege gesichert, ist die Rente gesichert, kriege ich einen Termin beim Arzt? Diese Fragen halte ich am Ende des Tages für genauso wichtig. Die Menschen müssen sehen, dass der Staat für sie arbeitet und in einer schwierigen Lage an ihrer Seite ist. Entscheidend wird sein, dass die Wirtschaft anspringt. Wie viel Optimismus haben Sie bei dem Thema? Ich habe immer Optimismus, weil ich schon sehr lange in der Politik bin – auf verschiedenen Positionen, in verschiedenen Ebenen. Schon als Bürgermeister im schwäbischen Bad Wörishofen habe ich gesehen, dass wir etwas bewegen können, wenn wir Freiräume für die Menschen schaffen. Wir müssen dem Einzelnen wieder mehr Vertrauen entgegenbringen und weg vom Misstrauen und von Kontrollen kommen. In der Landwirtschaft etwa wird den Bauern ständig gesagt, was sie alles tun und lassen müssen. Lasst sie doch wieder so arbeiten, wie sie es gelernt haben. Dieser Geist würde unserer Gesellschaft im Ganzen gut tun. "Bin überzeugt, dass Wehrpflicht kommt" In Zeiten eines Ukrainekrieges wird wieder über Aufrüstung und Verteidigung diskutiert. In Österreich geht es darum, die Wehrpflicht zu verlängern. Deutschland hingegen konnte sich nicht einmal durchringen, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Wie sehen Sie das? Ich bin überzeugt, dass die Wehrpflicht kommt. Das neue Wehrdienstgesetz ist jetzt einmal der erste Schritt. Ich bin sicher: Wir werden auch über eine allgemeine Dienstpflicht diskutieren. Ich war dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er das beim Parteitag angesprochen hat. Was verstehen Sie unter der allgemeinen Dienstpflicht? Dass man über eine verpflichtende Gesellschaftszeit redet. Dabei können die Menschen, abgesehen vom Wehrdienst, auch in sozialen Bereichen einen Dienst an der Gesellschaft leisten, beispielsweise in der Pflege oder auch im Sportverein. Als Vorstufe planen wir derzeit ein freiwilliges Bayernjahr, mit Anreizen wie einem kostenlosen Führerschein. Wir wollen die Menschen motivieren, sich für ihre Gesellschaft einzusetzen. Dienstpflicht für Männer und Frauen? Ich kann mir das schon vorstellen. In der aktuellen Wehrdienstreform ist es aber kein Thema, weil es im Grundgesetz derzeit nicht vorgesehen ist. CSU-Klausur mit Sebastian Kurz Sie haben von einem besseren Vernetzen gesprochen. Wie gut ist das Verhältnis der CSU mit der ÖVP? Ich empfinde unser Verhältnis als sehr gut. Zu unserer Klausurtagung in Kloster Banz im Jänner habe ich Sebastian Kurz eingeladen und ich freue mich, dass er kommt. Wir haben immer wieder einen engen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus Österreich. Ich komme aus einer Region, wo das Kleinwalsertal vor der Haustür liegt. Bei Verkehrsthemen haben wir sicher auch unterschiedlich Positionen. Aber im Grunde genommen kommen wir sehr gut miteinander aus und teilen gleiche Interessen. kurier/Wolfgang Wolak Ein konkretes Verkehrsthema möchte ich noch ansprechen: Nämlich den Brennerbasistunnel, wo man in Österreich das Gefühl hat, dass Bayern bei dem Projekt bremst. Wir sind uns alle einig - Deutschland, Österreich, Italien und Südtirol - dass wir den Alpentransit auf die Schiene verlagern wollen. Das ist ein Bundesthema, aber natürlich geht es da auch um Lärmschutz und unterirdische Verlagerung bei uns in Bayern. Hier muss es jetzt vorangehen. Die Position der Bundesregierung ist klar: Ein deutliches Ja zum Nordzulauf. Aber der Bundestag und das Bundesverkehrsministerium werden sich jeden Trassenabschnitt und den Trassenverlauf ganz genau anschauen. Der nächste Schritt ist jetzt die Zuleitung der Vorzugstrasse an den Bundestag. Damit beginnen sehr konkrete Gespräche, auch mit den Verantwortlichen vor Ort, und am Ende wird die Trasse dann feststehen. Zum Abschluss noch ein Thema, das auch in Österreich derzeit diskutiert werden: Wie weit ist der Föderalismus für den Staat gut, wie weit behindert dieser die Entwicklung eines Staates? Ich bin ein großer Anhänger des Föderalismus. Die Länder mit ihren Eigenheiten und auch mit ihrem Wettbewerb sind für unser Land identitätsstiftend. Deshalb ist der Bund nicht mehr und nicht weniger als die Summe der Länder. Trotzdem müssen wir über eine Staatsreform nachdenken, um Entscheidungen zu beschleunigen, Ebenen zu entflechten und Bürokratie abzubauen. Wir werden das in Bayern tun und setzen dafür jetzt eine hochrangige Kommission ein. Wir wollen auch Modellregionen und Erprobungsklauseln ermöglichen, ganz nach dem Motto: Mut haben, uns mehr trauen, einfach mal etwas ausprobieren. Ich könnte mir solche Modellregionen übrigens auch länderübergreifend vorstellen, zum Beispiel in den bayerisch-österreichischen Grenzregionen. Staatsreform heißt dann auch, die Beziehungen Bund, Land und Kommunen zu überdenken. Den Föderalismus aufzulösen halte ich aber für einen kompletten Irrweg.