Wie ist es um Wiens Parteien bestellt? Wir widmen uns zum Jahreswechsel jeder Partei im ausführlichen Check. Im Serienteil 3 sind die Grünen an der Reihe. Politisches Gespür kann man der Wiener Grünen-Chefin Judith Pühringer nicht absprechen. Dass sie heute in der Situation ist, in der sie ist, ist alles andere als selbstverständlich. Eigentlich bildet sie mit Peter Kraus eine Doppelspitze, hat sich aber als klare Nummer eins in der Partei etabliert. Und das, obwohl sie eine Quereinsteigerin ist und erst 2020 zur Partei stieß. Kraus hingegen ist ein gewiefter Machtpolitiker, bereits unter Vor-Vorgängerin Maria Vassilakou galt er als Kronprinz. Pühringer ist es gelungen, die Führungsfrage ohne öffentliches Hauen und Stechen für sich zu entscheiden. Schlechte Verfassung Auch dass die Grünen bei der Wien-Wahl ein für sie sehr gutes Ergebnis einfuhren (14,5 Prozent), ist alles andere als selbstverständlich. Pühringer und Kraus übernahmen die Partei in schlechter Verfassung: Vorgängerin Birgit Hebein hatte die Partei – damals noch in einer Koalition mit der SPÖ – auf eine Belastungsprobe gestellt. Sie zerstritt sich mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der auch deshalb die Neos als neuen Juniorpartner wählte. Zum Bruch kam es übrigens rund um das Projekt der autofreien Innenstadt, die Hebein an der SPÖ vorbei auf den Weg bringen wollte – Ludwig blockierte, nur um es später mit den Neos selbst voranzutreiben. Auch parteiintern lief es unrund: Hebein misstraute zunehmend der eigenen Partei und witterte überall Widersacher, die ihr den Job streitig machen wollen. Eine Selffulfilling Prophecy: Als nach der Wahl klar war, dass die Grünen nicht mehr mitregieren, versagte ihr der Rathausklub die Gefolgschaft; Hebein musste trotz Rekordergebnis gehen und trat 2021 ganz aus der Partei aus. Weshalb der Blick in die Historie wichtig ist? Weil bei alldem zwei mächtige Männer mitgemischt haben, die heute noch in der Partei ihre Strippen ziehen: Der eine ist Kraus – der andere David Ellensohn , bis vor Kurzem wortgewaltiger Klubchef der Grünen. Kompromisskandidatin Die beiden waren es, die 2018 indirekt erst Hebeins Aufstieg zur Chefin ermöglichten. Da Kraus und Ellensohn unversöhnlich um den Posten rangelten, setzte sich am Ende Hebein als Kompromisskandidatin durch – begünstigt durch ein internes Wahlsystem, dass den Grünen immer wieder Ärger beschert. Auch das Ende Hebein läuteten Kraus und Ellensohn ein – dann gemeinsam mit Pühringer, die eigentlich von Hebein in die Partei geholt worden war. Dass man bei den Grünen mit Missliebigen kurzen Prozess macht, zeigte sich nicht zuletzt am Fall des nunmehrigen Ex-Gemeinderats Ömer Öztas . Ihm wurde im Jänner vorgeworfen, statutenwidrig Mitglieder anzuwerben, um bei der internen Vorwahl seine Wiederwahl auf die grüne Liste sicherzustellen. Öztas, der eine Intrige witterte, wurde kurzerhand suspendiert. Verjüngung der Führung Mittlerweile ist auch Ellensohn entmachtet: Er wurde (nicht ohne Schmerzen) als Klubchef von Georg Prack abgelöst. Ein Zeichen für die Verjüngung, die die Führung anstrebt – die sich aber aufgrund der internen Prozesse schwierig gestaltet: Das (schon angesprochene) basisdemokratische interne System, in dem die Liste für die Gemeinderatswahl erstellt wird, führe dazu, dass „sich die Parteispitze nicht aussuchen kann, mit wem sie arbeiten will“. Für eine professionelle Partei sei das „schwierig“, ist zu hören. Wenn man mitregieren wolle – und das war stets Pühringers erklärtes Ziel –, müsse sich daran etwas ändern. Auch die Listenerstellung vor der Wien-Wahl im April verlief nicht friktionsfrei. So sind namhafte Vertreter der Partei immer noch unglücklich, dass es der langjährige Budgetexperte Martin Margulies nicht mehr auf die Liste schaffte. (Auch der spätere Versuch, Margulies, der kurz vor der Pension steht, mit einem Sitz im Bundesrat zu versorgen, scheiterte.) Andere, die als schwierig gelten, haben ihre Macht hingegen zementiert: etwa Mobilitätssprecherin Heidi Sequenz aus der Donaustadt, die letztlich auf Listenplatz 3 landete. Grüne Hochburg Neubau Ein wichtiger Machtfaktor werden die Bezirke. Markus Reiter , der seit jeher in der grünen Hochburg Neubau den Bezirksvorsteher stellt (und einst gar als Minister im Gespräch war), agiert nach innen wie nach außen selbstbewusst. Nach 48,1 Prozent und einem Plus von mehr als 3 Prozentpunkten kann er das auch. Gerne zersägt Reiter als Protest gegen Airbnb mit der Flex Schlüsselboxen ; rund um den Bau (und Abriss) von Rene Benkos Luxuswarenhaus Lamarr setzte er sich machtbewusst für die Interessen des Bezirks ein. Auch die anderen amtierenden grünen Bezirkschefs bauten ihre Machtbasis aus: Silvia Nossek in Währing (43 Prozent; plus 4,3 Prozentpunkte) und Martin Fabisch in der Josefstadt (44 Prozent; plus 10,5 Prozentpunkte) haben ihre Bezirke, die einst ÖVP-dominiert waren, nachhaltig umgefärbt. Dass in Margareten mit Michael Luxenberger neuerdings ebenfalls ein Grüner den Posten des Bezirkschefs bekleidet, ist zwar auch der Schwäche der zerstrittenen Bezirks-SPÖ zuzuschreiben. Der junge, verbindliche Luxenberger gilt intern aber als Zukunftshoffnung. Schwere Themenlage Schwerer tun sich die Grünen mit der aktuellen Themenlage: Sie müssen mit ansehen, wie SPÖ und Neos so manche grüne Errungenschaft rückabwickeln – etwa das 365-Euro-Öffi-Ticket –, um den Schuldenberg abzutragen, den Pühringers Vorgängerinnen fleißig mitaufgehäuft haben. Problematisch (bis populistisch ist), dass es die Grünen in ihren Vorwürfen gegen Rot-Pink mit der Wahrheit nicht sonderlich ernst nehmen: Über Wochen trommelten sie (ohne Beweis), dass die Koalition den Gratiskindergarten abschaffe – was letztlich nie passierte. Auch dass, wie von den Grünen behauptet, Menschen mit Behinderung durch die Kürzung der Mindestbeihilfe bis zu 1.200 Euro verlieren würden, stimmte so nicht. Politisches Gespür hin oder her: Ihrem Traumjob als Vizebürgermeisterin kommt Pühringer so nicht näher.