OGM-Chef Wolfgang Bachmayer: "Politischer Selbstmord mit Anlauf“

Am Tresen der Milchbar, dem innenpolitischen Podcast des KURIER, spricht der OGM-Chef Wolfgang Bachmayer gegen das eigene Geschäft und erklärt, warum stille Politiker mehr Vertrauen genießen. KURIER: Wofür steht OGM? Wolfgang Bachmayer: Ursprünglich für ‚Österreichische Gesellschaft für Marketing’, weil ich seitens meines Studiums, meiner Ausbildung und meinem ersten Beruf aus dem Marketing komme. Als die Marke aber eine gewisse Bekanntheit hatte, ist mir von Amts wegen untersagt worden, den Begriff „Österreichische“ zu verwenden, weil dieser genehmigungspflichtig sei. Seither heißen wir einfach OGM. OGM gibt es seit 1976. Wie haben Sie vor 50 Jahren befragt, wie tun Sie es heute? Damals haben sich Interviewer einen Auftragsschein geholt mit einer Adressliste. Aufgabe war es, in einer vorgegebenen Straße in Wien oder wo immer in Österreich bei jedem dritten Haus reinzugehen, bei jeder fünften Tür anzuklopfen und zu fragen. Später haben wir mit telefonischer Befragung begonnen, die von den damals etablierten Wettbewerbern heftig bekämpft wurde. Wer waren oder sind die Konkurrenten? Im Wesentlichen waren beziehungsweise sind es die parteinahen Institute Fessel GfK, später GfK genannt und das heute noch existierende und am Markt sehr bedeutende IFES-Institut, das von der Gewerkschaft gegründet wurde und das IMAS-Institut, das der Wirtschaftskammer nahe war. Diese Konkurrenzsituation hat mich dazu gebracht, OGM abseits politischer Einflussnahmen zu positionieren. Das hat im Laufe der vielen Jahre wahrscheinlich viele Chancen geraubt und viele Geschäfte verunmöglicht. Wer hatte damals die genaueren Prognosen? Obwohl das vielleicht jetzt eitel oder unhöflich klingt: In der Regel hatten wir die genaueren Umfragen. Die Interviewer der Institute wurden teilweise in der eigenen Parteijugend rekrutiert, weshalb die Ergebnisse teils auch eine Schlagseite hatten. Kurier/Juerg Christandl Aber OGM hat sehr wohl politische Auftraggeber! Ja, wir sind sehr aktiv bei öffentlichen Ausschreibungen – der größte Teil unserer Kunden, 80 Prozent unseres Umsatzes, stammt aus dem öffentlichen oder öffentlichkeitsnahen Bereich wie Ministerien, Nationalbank, Rechnungshof oder Gebietskörperschaften. APA/HELMUT FOHRINGER / HELMUT FOHRINGER Sondersitzung im Parlament - Kanzler und Vizekanzler auf der Regierungsbank, FPÖ-Chef am Rednerpult Bei Umfragen ist von Schwankungsbreiten, Samples, Stichproben die Rede. Verstehen wir alle das Gleiche und Richtige darunter? Die Stichprobengröße ist ein wichtiges Merkmal für die Sicherheit der Ergebnisse – je mehr Interviews, desto besser. Die damit verbundene Schwankungsbreite wird häufig angeführt, aber von den wenigsten verstanden. Sie wird oft inkorrekt verwendet, weil sie eine sogenannte reine Zufallsstichprobe ohne Quotenvorgaben z. B. der Altersgruppen und ohne Gewichtung von Daten voraussetzt, was selten der Fall ist. Viel wichtiger für die Datenqualität ist aber die Quelle der Stichprobenziehung. Der Idealfall wäre eine Stichprobenziehung aus einem riesigen, kompletten Datenbestand – am liebsten dem zentralen Melderegister oder den Wählerverzeichnissen. Das geht aber nur selten und ist teuer, daher behelfen sich manche Institute mit dem Aufbau eines eigenen Befragtenpools, der die Verteilung der Bevölkerung im Kleinen abbildet. Ist auch recht aufwendig, daher lagern viele die Befragung an Dritte aus, was OGM wegen mangelnder Kontrolle der Datenqualität skeptisch sieht. 2025 werden Umfragen auch nicht mehr telefonisch gemacht, sondern? Online ist momentan State of the Art für gute Stichprobenziehungen, auch, weil im Zuge der Pandemie die Online-Nutzung bei älteren Menschen auf rund 80 Prozent angestiegen ist. Wie kommen Sie zu den Online-Nutzern, zumal es ja kein Verzeichnis wie beim Telefonbuch gibt? Wir können aufgrund der bald fünf Jahrzehnte, die wir am Markt sind, bei Umfragen mittlerweile auf ein Verzeichnis von rund 65.000 Personen zurückgreifen. Antworten Menschen online anders als am Telefon? Ja, es ist ein Paradoxon, das wir beobachten, seit wir von Telefon- auf Online-Umfragen umgestiegen sind: Am Telefon waren die Menschen bei der Frage nach dem Haushaltseinkommen oder wen sie bei der nächsten Wahl wählen würden, verschlossener, weil sie das Gefühl hatten, ihre Daten würden rückverfolgt. Bei Online-Umfragen haben die Menschen eher das Gefühl anonym zu sein, obwohl wir wissen, dass im digitalen Raum viel mehr rückverfolgbar ist. Spüren Sie etwas von der Politikverdrossenheit, von der oft berichtet wird? Es ist erstaunlicherweise besser geworden! Es wird mehr über Politik diskutiert, weil es auch zu einer zunehmenden Emotionalisierung der Politik gekommen ist. Ich erinnere mich an die 1970er-Jahre, da gab es bei Telefonumfragen, wenn es zu politischen Fragen kam, den fix stehenden Satz von Frauen: „Wissen Sie, wenn es um Politik geht, da ruf ich meinen Mann“. Das gibt es heute Gott sei Dank nicht mehr. Heute ist Politik ein Thema am Arbeitsplatz und in jedem Haushalt. Umfragen beeinflussen Stimmung und Wähler – Parteien geben selbst Umfragen in Auftrag. Gibt es zu viele Umfragen? Ich rede jetzt gegen meine Branche und gegen das Geschäft: Ich finde, die Umfragen sind inflationär geworden und sie haben auf viele Entscheidungsprozesse bereits zu viel Einfluss. Wir sind beispielsweise bei Sonntagsfragen dazu übergegangen, nur mehr vierteljährlich abzufragen. EPA / MAX SLOVENCIK Angelobung Dreierkoalition Regelmäßig veröffentlichen Sie mit der APA den Vertrauensindex, den zumeist der Bundespräsident anführt, an dessen unterem Ende FPÖ-Chef Herbert Kickl ist. Heißt das: Umso stiller ein Politiker, desto mehr Vertrauen wird in ihn gesetzt? So ist es. Eine kluge, politische Persönlichkeit – außer ein Kanzler, der nicht immer schweigen kann, sonst heißt er gleich Schweigekanzler – ist gut beraten, nicht bei jedem Ereignis prononciert Stellung zu beziehen, sondern abzuwägen. Kanzler Christian Stocker ließ via Krone wissen, 2029 wieder anzutreten ... Kanzler Stocker bleibt überhaupt nichts anderes übrig als zu sagen: Ich bleibe! Sobald er Zweifel zu erkennen geben würde, hätten wir eine nächste Schlagzeile, er würde zur sogenannten ‚lame duck’ zur lahmen Ente und das alles wäre im Prinzip politischer Selbstmord mit Anlauf. Umgekehrt kennen wir auch, dass ein Politiker gefragt wird, ob ihn ein Amt interessiert. Er oder sie sagt: Nein, nein, nein – und drei Monate später ist er oder sie es. Das ist ein Ritual, eine Bühnenshow, ohne die es nicht geht. Die FPÖ hat die Nationalratswahl gewonnen und sie führt seither in allen Umfragen – rangiert derzeit laut OGM bei 36 %, während die Koalitionsparteien verlieren, die ÖVP bei 20 %, die SPÖ bei 17 % und die Neos 9 % liegen. Wird das so bleiben? Ohne Frage wird die FPÖ die Nummer eins bleiben, wenn auch bei Wahlen nicht so hoch wie in den Umfragen derzeit. Wir sehen im Vergleich mit den demografischen Strukturen und der jeweiligen Anhängerschaft, dass die FPÖ eine gefestigte Wählerschaft hat und die größte Ausgeglichenheit zwischen Männern und Frauen, Stadt und Land, jung und alt. Insofern kommt es nicht von ungefähr, dass Kickl sich, wohl bestätigt auch durch solche Daten, als Volkskanzler bezeichnet. Was denken Sie: Kommt es zu vorgezogenen Wahlen? Ich glaube, dass es nicht so bald zu Neuwahlen kommt, weil der Kickl-Kitt ein starker Haftkleber für die Dreierkoalition ist, obwohl sie in den Umfragen bereits jetzt keine Mehrheit mehr haben.