„Jeder will mich angreifen, jeder will ein Foto mit mir machen“, sagt Anna-Theres Stern . Der Grund liegt auf der Hand: Die 58-Jährige ist Rauchfangkehrermeisterin und somit ein wandelnder Glücksbringer – ganz besonders zum Jahreswechsel. Am Silvesternachmittag strömen nämlich traditionell hunderte Gäste in das Rauchfangkehrermuseum, dessen Leitung sie vor drei Jahren von ihrem Vater Günter übernommen hat. Und diese Gäste wollen, was ihr Glück angeht, auf Nummer sicher gehen: einen Rauchfangkehrer angreifen und dann einen Knopf drehen . „Der Knopf ist ja ein magischer Kreis, ohne Anfang und ohne Ende. Und so bekommt man eben Glück ohne Ende“, erklärt Stern beim Besuch des KURIER im Museum auf der Wieden. Quereinsteigerin Sie ist Rauchfangkehrerin mit Leib und Seele – und das, obwohl die damalige Bankangestellte erst im Alter von 30 Jahren als Quereinsteigerin zum Beruf gekommen und in den elterlichen Betrieb eingestiegen ist. Somit gehört sie nun zu den 15 Prozent Wiener Rauchfangkehrerinnen. Ihre Tochter sorgt dafür, dass der Frauenanteil weiter steigt. Auch sie schlägt in dritter Generation den Berufsweg ein und absolviert derzeit die Meisterklasse. Anya Antonius Blick in die Vitrinen des Rauchfangkehrermuseums. Das Glück abonniert Die erste Frau ihrer Zunft war im Jahr 1920 die Niederösterreicherin Marie Pill , wie die Museumsleiterin erzählt. Dazu passt auch ihr Lieblingsexponat der Dauerausstellung: Die Bronzefigur einer schlanken Dame in Rauchfangkehrermontur, in den Armen ein Ferkel, für das doppelte Glück. Das konnte die auf die 1930er-Jahre geschätzte Figur auch brauchen. „Sie ist früher in einer Vitrine am Gang gestanden und wurde eines Tages gestohlen“, erzählt Stern. Ein Antiquitätenhändler habe sie später – vermutlich von den Dieben – zum Kauf angeboten bekommen. Der Händler wiederum wusste, dass ihr Vater, der damalige Museumsleiter, Antiquitäten mit Rauchfangkehrer-Bezug sammelte – und so landete die Bronzefigur schließlich wieder an ihrem angestammten Platz im Museum. „Aber seitdem steht sie im Ausstellungsraum und nicht mehr draußen am Gang“, sagt Stern und lacht. Man muss das Glück ja nicht überstrapazieren. Anna-Theres Stern Diese Figur wurde aus dem Museum gestohlen – und kehrte wieder zurück. Ein Beruf im Wandel Woher die positive Assoziation der Menschen mit der Berufsgruppe kommt, erklärt Stern historisch: „Das war früher kein geregeltes Gewerbe , der Rauchfangkehrer ist nicht regelmäßig gekommen. Und wenn man dann auf der Straße einem begegnet ist, war das wirklich ein Glück.“ Der Rauchfangkehrer konnte Ofen, Rauchfang und Feuerstätte von leicht entzündlichen Belägen reinigen und so dafür sorgen, dass das Haus sicher blieb. Vorbeugender Brandschutz war schon immer – und ist bis heute – die Hauptaufgabe der Männer und Frauen in Schwarz. Bestand die Arbeit früher hauptsächlich darin, die Rauchfänge vom Ruß der Kohleöfen zu befreien, gehören heute auch Abgasmessungen, Dichtheitsprüfungen, Wärme- und Energieberatungen dazu. „Es sind über die Jahre einige Aufgaben weggefallen, aber viele neue dazugekommen. Der Beruf ist viel technischer geworden“, sagt Stern. Auch mit Energiewende und Dekarbonisierung sieht sie die Zukunft gesichert : „Uns wird es immer geben.“ Die Veränderung der Heizgewohnheiten begrüßt sie ausdrücklich: „Wir Rauchfangkehrer wollen ja auch, dass unsere Erde noch länger bestehen bleibt.“ Sechs Kilo schwer Wie sehr sich der Beruf alleine in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, sieht man auch an der schwarzen hirschledernen Montur, die an einer rußigen Schaufensterpuppe zu bewundern ist. „Das ist die alte Kehruniform meines Vaters. Sie ist sechs Kilo schwer“, sagt Stern. Soviel Gewicht müssen die Rauchfangkehrerinnen und Rauchfangkehrer heute bei der Arbeit nicht mehr mit sich herumschleppen. 1512 wurde das Gewerbe erstmals geregelt – „ein wichtiges Jahr für uns“, sagt Stern. Denn über Jahrhunderte kamen Rauchfangkehrer hauptsächlich aus Italien nach Wien. Kaiser Maximilian I. bestellte damals einen gewissen Hans von Mailand zum ersten Rauchfangkehrermeister der Stadt. „Der ist dann in Wien geblieben – und es wurden schließlich immer mehr.“ Anya Antonius Von der Kirche ins Museum Sogar eine eigene Kirche hatten die Wiener Rauchfangkehrer. Das im Volksmund Rauchfangkehrerkirche genannte Gotteshaus stand einst mitten auf der Wiedner Hauptstraße. Dieses wurde 1725 erbaut und war dem Heiligen Florian geweiht. Der wiederum ist Schutzheiliger der Feuerwehr – und der Rauchfangkehrer. „Hier haben sie geheiratet, ihre Taufen gefeiert und die Totenmessen abgehalten“, erzählt Stern. 1965 wurde die Kirche als Verkehrshindernis schließlich abgerissen, dem lauten Protest aus der Bevölkerung zum Trotz. 13.000 Unterschriften waren für ihren Erhalt gesammelt worden. Anya Antonius Die originalen Ziffern und Zeiger der alten Kirchenuhr. Reste der Kirche sind heute im Rauchfangkehrermuseum ausgestellt. Darunter eine Reliquie des Heiligen Florian, Kreuze und Kandelaber. Das größte Stück hängt aber im Stiegenhaus. Das nachgebaute Ziffernblatt der Kirche, darauf montiert: die Originalziffern und -zeiger . „Die hat der damalige Leiter des Bezirksmuseums Wieden gegen eine Kiste Bier für die Bauarbeiter von der Baustelle retten können“, erzählt Stern. Die Uhr misst hier keine Zeit mehr, erzählt aber von einem Beruf, der bis heute Sicherheit bringt – und Glück.