George Clooney in Venedig: Blick zurück mit einem blauen Auge

Mit viel Starpower ging das 82. Filmfestival in Venedig an den Start. Zuerst hielten zwei Großkaliber des Kinos – Werner Herzog und Francis Ford Coppola – auf dem Gang über den roten Teppich Händchen. Danach sprach Coppola seinem Kollegen Herzog anlässlich der Verleihung des Goldenen Löwen für sein Lebenswerk das höchste Lob aus. Mit Paolo Sorrentinos bildschöner Tragikomödie „La Grazia“, in der Toni Servillo als fiktiver italienischer Ministerpräsident nachdenklich Lebensbilanz zieht, wurde das Filmfestival für eröffnet erklärt. Danach ging es gleich mit viel Prominenz weiter. Noah Baumbach reiste mit einem durch eine Nebenhöhlenentzündung angeschlagenen George Clooney und Adam Sandler an: Beide spielen in dem von Netflix produzierten Wettbewerbsfilm „Jay Kelly“ die Hauptrollen. Peter Mountain/Netflix George Clooney am Scheideweg als "Jay Kelly" Typisch Netflix , lautete auch sogleich das erste Verdikt zu „Jay Kelly“ (abrufbar ab 5. Dezember) – und gemeint ist damit ein Filmprofil, das wunderbar ins Programm des Streamers passt: gehobene, anspruchsvolle Unterhaltung, die niemals die Grenze des Gefälligen überschreitet. Im Mittelpunkt steht ein gefeierter Schauspieler namens Jay Kelly, den George Clooney mit dem Glamourfaktor eines klassischen Hollywoodstars à la Cary Grant verkörpert. Jay wird umschwärmt von einer Entourage an Assistenten. Die wichtigste Person im Team: Ron Sukenick, zuerst mit viel Optimismus, dann mit zunehmender Verzweiflung kongenial verkörpert von Adam Sandler. Als Jay überraschend entscheidet, nach Europa zu reisen, schließt Ron sich an, obwohl der Spontantrip zunehmend aus dem Ruder läuft. Denn Jay wird mit der Vergangenheit konfrontiert und blickt mit einem blauen Auge auf sein Leben zurück – auf seine Rolle als Filmstar und als (versagender) Vater. Dabei gerät auch seine Beziehung zu Ron schwer auf den Prüfstand. Regisseur Noah Baumbach zieht seine Register in allen Stimmungslagen – von melancholisch über komisch-ironisch bis hin zu grotesk. Wenn Lars Eidinger als Radfahrer in Spandex eine Handtasche klaut und dann von George Clooney durch ein Feld gejagt wird, glaubt man sich bisweilen im falschen Film. Weitgehend unterhaltsam bleibt es trotzdem. Courtesy of Focus Features © 2 Jesse Plemons als Verschwörungstheoretiker in "Bugonia" von Yorgos Lanthimos. Marlene Dietrich Im völligen Gegensatz zu Baumbachs Wohlfühlkino steht die Arbeit des sardonischen Griechen Yorgos Lanthimos. Dessen grausame Satire „Bugonia“ reizt zwar stellenweise zum Lachen, bleibt aber eine unbehagliche Seherfahrung. Oscarpreisträgerin Emma Stone, der Star in Lanthimos’ „Poor Things“, verkörpert die eiskalte Chefin eines Pharmakonzerns und wird von einem Verschwörungstheoretiker (Jesse Plemons) und seinem Cousin für ein Alien gehalten, entführt und kahl geschoren. Aber auch blutverschmiert und mit Glatze bleibt Emma Stone souverän und ficht mit ihrem Kidnapper ein brutal-bitteres Duell über den apokalyptischen Zustand der Welt aus. „Sag mir, wo die Blumen sind“, singt Marlene Dietrich am Ende. Aber da hört sie schon keiner mehr.