Pharmig-Chef: "Die Zeit billiger Medikamente in Österreich ist vorbei"

Es sei „sinnbefreit“, wenn die Politik mehr Pharmaproduktion in Europa haben will, am Ende aber nur der niedrigste Preis zähle, übt Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog im KURIER-Interview heftige Kritik an der Preispolitik. In Österreich drohe dadurch eine Verschärfung bei den Lieferengpässen. KURIER: Die staatlichen Gesundheitsausgaben laufen aus dem Ruder, die Krankenkassen müssen sparen. Gibt es da noch Spielraum bei den Medikamentenpreisen? Alexander Herzog: Ganz im Gegenteil. Wir haben ein enorm niedriges Preisniveau. Die Medikamentenpreise in Österreich sind niedriger als in vielen anderen EU-Ländern. Die einzige Einsparmöglichkeit wäre, bestimmte Produkte den Patienten nicht mehr zur Verfügung zu stellen. Sparen auf Kosten der Patienten? Die Politik kann durch eine Niedrigpreispolitik die Medikamenten-Versorgung jederzeit zurückfahren. Das hätte aber einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden zur Folge, weil durch die vielen Therapien Menschen wieder früher gesund werden und zurück ins Arbeitsleben kehren. Sparen bei Medikamenten bedeutet immer auch einen volkswirtschaftlichen Schaden. APA/EXPA/ STEFANIE OBERHAUSER Sie beklagen, dass Österreich zu den Ländern mit den niedrigsten Medikamentenpreisen innerhalb der EU zählt. Wie kommt es zu diesem „Österreich-Abschlag“? Österreich ist ein kleiner Markt und der Preisdruck des öffentlichen Gesundheitssystems ist enorm hoch. Die Pharmafirmen sind zugleich durch die hohe Inflation massiv unter Druck geraten. Gestiegene Rohstoff- und Energiekosten sowie neue Regulatorien haben die Produktionskosten in die Höhe getrieben. Besonders betroffen ist die Generika-Branche. Dort wird es wirtschaftlich immer schwieriger, bestimmte Arzneien im Markt zu halten und wir müssen uns mit ständigen Lieferengpässen herumschlagen. Pro Monat werden 20 Produkte vom Markt genommen, unter anderen deshalb, weil der Preis für die Hersteller nicht mehr wirtschaftlich darstellbar ist. Aber diese Fakten stoßen auf taube Ohren. Pharmafirmen können die Medikamenten-Preise ja nicht einfach erhöhen wie im Lebensmittelhandel? Stimmt. Uns geht es nicht so gut wie dem Lebensmittelhandel, sondern wir müssen uns einem Preisfeststellungsverfahren unterziehen. Wir haben einen 100 Prozent staatlichen Eingriff in die Preise. Zugleich handelt es sich aber um privatwirtschaftliche Unternehmen und nicht um Staatsbesitz. Da sagen manche, na gut, bei dem Preis liefere ich eben nicht mehr in dieses Land. Um die Versorgung zu sichern, müssen ab heuer wichtige Medikamente bevorratet werden. Sie waren gegen eine Notfallbevorratung. Warum? Nationale Alleingänge sind hier nicht zielführend. Wir haben immer gesagt, dass eine Bevorratung nur auf EU-Ebene sinnvoll ist. Wenn viele Länder bevorraten, sind die Produkte erst recht nicht verfügbar und können dann auch nicht eingelagert werden. Für eine bessere Versorgung schlagen Pharmaverbände ein europaweit einheitliches Preissystem vor. Wie soll das funktionieren? Mit einem Grundpreis bei der Zulassung und Zuschlag für reichere sowie Abschlag für ärmere Länder. Die EU-Länder würden dann in Kategorien eingeteilt. Österreich wäre unter den Ländern mit Zuschlägen, Bulgarien und Rumänen beispielsweise hätten Abschläge. Zugleich wäre der Parallelhandel eingedämmt. Das wäre ein Widerspruch zum freien Handel. Die Chance auf Umsetzung ist gering, oder? Derzeit ist das nicht umsetzbar, denn jedes EU-Land pocht im Gesundheitswesen auf seine nationalen Bestimmungen. Mit dem Ergebnis, dass die Preissysteme nicht vergleichbar sind. Kurier/Gerhard Deutsch Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog US-Präsident Trump nimmt die Pharmabranche an die Kandare, fordert massive Preissenkungen und will die Produktionskosten von Medikamenten auf alle Länder aufteilen. Wie wird sich das auf Europa auswirken? Die USA sind der wichtigste Pharmamarkt, daher gehen die Hersteller jetzt kein Risiko ein. Neue, hochinnovative Therapien werden zuerst in den USA auf den Markt kommen und das Preisniveau wird sich angleichen. Medikamente werden in den USA etwas billiger, dafür bei uns deutlich teurer werden. Man muss es einfach sagen: Die Zeit billiger Medikamente ist vorbei. Das europäische Modell des Billigstpreises stößt an seine Grenzen. Europa muss sich vom Tiefpreismantra verabschieden. Drohen Produktionsverlagerungen von Europa in die USA? Es gibt einen globalen Wettbewerb um Pharma-Investitionen, daher droht tatsächlich eine Abwanderung in die USA, so wie vor Jahren bei den Generika nach Asien. Alle freuen sich über niedrige Preise, aber wir haben uns zugleich in die Abhängigkeit begeben. Wenn die Politik Produktion in Europa halten will und auf der anderen Seite die Preispolitik die Verfügbarkeit nicht ermöglicht, so ist das sinnbefreit.