Neues Sopherl am Naschmarkt: "Wir sind eigentlich zu günstig"

Noch vor dem ersten Öffnungstag stand die Presse vor der Tür. Als an der Linken Wienzeile 34 am 11. August offiziell aufgesperrt wurde, saßen innerhalb der ersten 48 Stunden bereits die Kritiker am Tisch. Nicht gerade der sanfte Start, den sich die Betreiber Jing Chen und Mike Köberl für das „ Sopherl am Naschmarkt “ vorgestellt haben. Obwohl, wenn es um ein wiederbelebtes Kultlokal geht, ist die Aufregung praktisch vorprogrammiert. Wer selbst nie im Sopherl war, dem erzählt man vom Gulasch , das man nach dem Fortgehen auch noch weit nach Mitternacht bekam. Vor der Schließung im Jahr 2019 war es eine Anlaufstelle für Nachtschwärmer, angezogen vom Raucherbereich – und weniger von der Qualität der Speisen oder gar der freundlichen Bedienung. Was Gäste wollen Übrig ist davon nur mehr das alte Beisl-Schild. Und wie läuft es nach den ersten zwei Wochen im neuen Sopherl? „Vollgas“, sagt Küchenchef Köberl. Der 58-jährige Kärntner kochte jahrelang an der Seite von Wolfgang Puck in Hollywood , in Österreich im „Korso“ bei Meisterkoch Reinhard Gerer . Die anfängliche Teilung der bodenständigen Mittagskarte von der gesetzteren Abendkarte hat man wieder abgeschafft. „Weil die Leute durcheinander bestellen wollen“, sagt Chen, 30 Jahre alt und ein Wiener „Gastro-Kind“, dem auf Instagram 142.000 Menschen folgen. Die Gästen bekommen, was sie wollen. Aus dem einfachen Grund, dass man ein durchmischtes Publikum anziehen will, was aber vor allem mit österreichischer Küche schwer sei. Dass die Mayonnaise für die gebackenen Champignons (12,20 Euro), Kärntner Kasnudeln (16,80 Euro) oder Suppen auch für Veganer geeignet sind, hilft da schon mal. Die Hauptspeisen belässt Köberl im Kern klassisch , dass das Paprikahendl (16,50 Euro) mit knuspriger Haut und Rahmspätzle auf den Tisch kommt, macht den Klassiker aber ein Stück moderner (und besser). Der kalifornisch-französische Einfluss von Köberl kommt vor allem beim Frühstück (pochierte Birne mit Avocado und Minze) durch. Während Köberl Tage über seine Nockerl nachdenken kann, beherrscht der nicht minder kreative Chen die Rolle des Betriebswirten. Und kommt man auf die Wiener Küche zu sprechen, gibt es für beide kein Halten mehr. Kaiserschmarren im Wok Man hat noch so viel vor, Gulasch und Schinkenfleckerl (die Köberl von Gerer gelernt hat), auch der Kaiserschmarren, den man für ein Instagram-Video im Wok zubereitet hat, sei richtig geil gewesen. Köberl hat die Karte schon im Kopf. Ein Muss für jedes Gericht: Chen will sie zu Preisen anbieten, die er auch privat zahlen würde und verlässlich kalkulieren kann. „Sonst kommt es nicht auf die Karte.“ Deshalb sei das Kalbsschnitzel (28,80 €) auch nicht bio . Bio-Kalb ist Mangelware , der Preis zu instabil für den kalkulierenden Chen: „Du kannst die Teuerung nicht gänzlich den Gästen weitergeben. Wir sind eigentlich zu günstig, können damit aber wirtschaften. Man braucht halt einen längeren Atem.“ Seine anderen Lokale (Chen ist an sieben Restaurants beteiligt) geben einen zusätzlichen finanziellen Puffer. Leben könnte man am Standort auch von billigen Schnitzeln und Touristen , will aber etwas für die Leute im Grätzel bieten, „die nicht mehr auf den Naschmarkt gehen, weil es ihnen zu touristisch ist“. Apropos Schnitzel : Das will Chen auch in vegan anbieten: „Ich will, er muss“, scherzt er in Richtung Chefkoch, der einwirft: „Doch, das interessiert mich brennend , ich bin nur noch nicht sicher, was die beste Basis ist.“ Ein Risiko, das es wert ist Den Break-even-Point für das Sopherl hat Chen, studierter Physiker, in acht Jahren berechnet – optimistisch wären auch vier Jahre möglich: „Aber ich muss das Risiko mit einrechnen.“ Und dass man mit dem Sopherl ein Risiko eingeht, sagen die beiden selbst. Heute ein Restaurant zu eröffnen, müsse man sich erst einmal trauen. Chens Antwort auf die Klagen, dass Gäste weniger Alkohol konsumieren : eine Weinkarte, auf der nichts teurer als 30 Euro ist. Bei all den Kalkulationen geht es dann aber doch um ein Gefühl : „Ich habe lange überlegt, ob sich das Projekt auszahlt. Wir wollen ein Statement für die Wiener Küche setzten, mehr machen und durchziehen“, sagt Chen. Und das Risiko, zu scheitern ? „Das ist es mir wert.“