Wanderwege, Steige und Hütten im täglichen Klimastress

Wanderwege, Steige und Hütten im täglichen Klimastress

30.000 Kilometer Wege erhält der Deutsche Alpenverein (DAV) mit 34.000 Ehrenamtlichen, die 2,46 Millionen Stunden freiwilliger Arbeitszeit – größtenteils in den Österreichischen Bergen – investieren. Und der DAV bewirtschaftet 325 Hütten mit 20.000 Schlafplätzen und rund 937.000 Übernachtungen pro Jahr. Eine davon ist die Neue Prager Hütte am Großvenediger. In einer Stube hängt das Bild von Johann Stüdl, dem Prager Alpinisten, nach dem der jüngst von einem Steinschlag getroffene Steig auf den Großglockner benannt ist. Auch die Neue Prager Hütte geht auf den 1925 verstorbenen Alpinisten zurück. Josef Kleinrath Ben, Maja, Michaela und Flo in der Stube, im Hintergrund am Bild: Johann Stüdl. Auf dieser Hütte wird der Klimawandel spürbar. Weil das Wasser ausgegangen ist, konnte sie längere Zeit nicht bewirtschaftet werden oder musst frühzeitig schließen. Jetzt haben zwei junge Paare die Hütte gepachtet. Maja (23) und Ben (25) sowie Michaela (29) und Flo (34). Die Investitionen sind enorm: Ein 12.000 Liter großer rosaroter Wassertank wurde am 12. Juli per Hubschrauber geliefert und unterhalb der Hütte im Berg vergraben. DAV/Ben Schwendtner Der neue Wassertank für die Prager Hütte. Wenn das Wasser fehlt Ein Grund für den Wassermangel: der Rückgang der Schneedeckendauer und das frühzeitige dauerhafte Abschmelzen der Schneefelder. Die durch den Klimawandel teils wesentlich stärkeren Regenmengen in den Bergen gehen ohne neue Speichermöglichkeiten quasi verloren. Toilette ohne Wasser Die Prager Hütte ist für den Deutschen Alpenverein ein Pilotstandort. Mit der neuen Wasserversorgung und dem wasserlosen WC (140.000 Euro Investment) wurde ein Echtzeit-Wassermonitoring gestartet. Josef Kleinrath Die neue wasserlose Toilette der Neuen Prager Hütte. Ebenso wird mit Georesearch das Volumen des Schlatenkees analysiert. Auch die Schneefelder und deren gespeichertes Wasservolumen werden analysiert, um durch die Integration des Besucherzahlenmonitorings Zukunftsprognosen für andere Hütten ableiten zu können. Prognosen ermöglichen Daraus könnten sich etwa dynamische Anpassungen der Buchungskapazitäten ergeben. Sprich: Es werden weniger Nächtigungen angeboten, um den Betrieb einer Hütte über die ganze Saison ermöglichen zu können. Wobei ein Hebel für alle Hütten die Reduzierung des Wasserverbrauchs sein wird, sind sich die Experten sicher. Beispiel Prager Hütte: Mit neuem Tank und neuer Toilette ist die Versorgung der Hütte ohne nachfließendes Wasser für 30 Tage gesichert – davor waren es neun. Josef Kleinrath Wolfgang Arnoldt, Vizepräsident des Deutschen Alpenvereins, setzt alles daran, dass Hütten möglichst nicht geschlossen werden müssen. Die Vermessung des Gletschers und des darunter liegenden Geländes soll Attraktivität und Machbarkeit einer bald eisfreien Route auf den Großvenediger sowie Gefahrenpotenziale abschätzbar machen. Moritz Pfeiffer ist als Verantwortlicher beim DAV für Hütten und Wege mit dem Klimastress dieses Bereichs befasst. Ein Beispiel ist die Stüdlhütte im Großglocknermassiv, ebenfalls nach Johann Stüdl benannt. Durch permafrostbedingtes Kriechen des Nordhangs unterhalb der Hütte besteht die Gefahr der Instabilität – deshalb wird das überwacht, Kriechbewegung werden durch technische Maßnahmen reduziert. Was der DAV mit allen Mitteln vermeiden will, bringt Vizepräsident Wolfgang Arnoldt auf den Punkt: Dass Hütten geschlossen werden müssen.

Von Smog zu High-Tech: Wiener Unternehmer spüren Chinas Wandel nach

Von Smog zu High-Tech: Wiener Unternehmer spüren Chinas Wandel nach

An den schlechten Tagen konnte man die Hände vor den Augen kaum mehr sehen. Aus 108 Schornsteinen rauchten giftige Abgase . Das riesige Stahlwerk von Shougang , mitten in Peking , war zu größten Teilen verantwortlich dafür, dass eine dunkle Schicht aus Abgasen und Staub die chinesische Hauptstadt eintrübte. Von Wohnungen im 20. Stock aus waren die Straßen unter dem Smog nur noch zu erahnen. Heute, 15 Jahre später, ist der Himmel über der Megametropole wieder klar, die Luftqualität gut. Das liegt zum einen an den unzähligen E-Autos, die sich trotz konstanter Verkehrsüberlastung emissionsfrei durch die Stadt stauen. Vier Fünftel aller neuzugelassenen Pkw in der chinesischen Hauptstadt müssen jetzt E-Autos sein, erkennbar an den grünen Nummerntafeln. Wirtschaftlicher Aufstieg Chinas Entscheidend aber war die Schließung des Stahlwerks. Sinnbildlich stand  Shougang, wo bis zu 100.000 Menschen gearbeitet hatten, für den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas . 2010 wurde es geschlossen und in Teilen, erneuert und mit einer weniger umweltschädlichen Produktionsweise, in eine andere Provinz 200 Kilometer weg verlegt. Große Teile des einstigen Stahlriesen aber blieben, wurden jahrelang von Giften und Ablagerungen gesäubert. Sein einstiges Wärmekraftwerk ist heute ein Hotel, in den alten Lagerhallen befinden sich Kunstgalerien, Schulen, hypermoderne  Forschungsstätten und Freizeitzentren. Hobbysportler düsen auf allermodernsten Rennrädern vorbei, andere Besucher lassen sich in der Virtual-Reality-Sektion in die Zeit der Ming-Dynastie versetzen. An den rostbraunen Industrieruinen entlang fahren Touristen per Lift hoch. Zu sehen sind von dort oben: stillgelegte Kühltürme, mittendrin Pekings berühmt gewordene Big Air Schanze für die Olympischen Winterspiele 2022, - und vor allem ein ganzes Stadtviertel, das sich neu erfunden hat. Ingrid Steiner-Gashi Das geschlossene Stahlwerk Shougang steht sinnbildlich für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg. "Grüner High-Tech-Bezirk" „Wir in Shijjingshan sind jetzt ein grüner High-Tech-Bezirk“, schildert der für Investitionen zuständige Direktor der Bezirks, Yang Guang stolz. Bereits 120 KI-Unternehmen haben sich im Industrieparkt Shougang niedergelassen. Yang Guangs Zuhörer sind eine Gruppe Wiener Unternehmer. Sie alle wollen Kontakte knüpfen, sich über die Chancen am Riesenmarkt China informieren lassen, ausloten, welche Produkte der österreichische Markt noch brauchen könnte. Vor allem Chinas boomender Sektor der Künstlichen Intelligenz interessiert die Delegation des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien. Besonders im Blick habe er, meint der in China bestens vernetzte Wiener Wirtschaftsanwalt Georg Zanger, die Verbindung zwischen KI und Medizin. „Wenn die KI in China schon von außen feststellen kann, ob der Tumor auf der Lunge Metastasen ausstrahlt oder nicht. Wenn man also auf diese Weise sagen kann, ob es eine Chemotherapie braucht oder nicht, dann sollte man das dringend mit den Ärzten in Österreich verbinden.“ Und dabei, meint Zanger, müsse man schnell sein. Berührungsängste mit der kommunistischen Diktatur? Erst mit Jahresbeginn verschärfte  die Führung in Peking unter dem Deckmantel von Sicherheitsvorgaben die Regeln für Investoren. Die Volksrepublik sei einer der wichtigsten Handelspartner Österreichs, meint Zanger.  Und dass US-Präsident Trump die ungeliebten Europäer mit Strafzöllen unter Druck setze, lasse China wieder umso näher an die EU-Staaten heranrücken: „Die EU braucht die Kooperation mit China auf Augenhöhe, um im Ringen mit den USA zu bestehen“, sagt der Wirtschaftsanwalt. Politische Vorgaben bremsen Die Gegebenheiten für Kooperationen mit China sieht auch KI-Projektentwickler Attila Ceylan, doch politische Vorgaben bremsen auf europäischer Seite ebenso wie auf chinesischer. Ceylan, der etwa an einem KI-Projekt für die Verbesserung von Sprachfehlern arbeitet, kritisiert den AI-Act der der EU: Dieses Gesetzeswerk lasse so vieles in Europa an Entwicklungen und Möglichkeiten auf dem KI-Sektor nicht zu, was andere schon in Angriff nehmen. Aber auch im großen, neuen Wanjiang-Rechenzentrum in der Hauptstadt der Region Xinjiang lautet die Antwort ausweichend: Man möchte gerne mit Europa zusammenarbeiten, Rechenleistungen exportieren, aber das sei noch nicht möglich. Warum? „Wir brauchen mehr Unterstützung“, heißt es. Von wem, von der Politik? Die Antwort bleibt aus. Ingrid Steiner-Gashi Heute beherbergt das ehemalige Werk ein Hotel, Freizeit- und Forschungszentren. Welt- und Wirtschaftsmacht Von Peking bis zur westlichsten Region des Landes ist der Stolz darüber, was China innerhalb nur einer Generation geschafft hat, von fast jedem Gesprächspartner sofort zu hören. Der Rote Riese, eine wieder erwachte Welt- und Wirtschaftsmacht. Achthundert Millionen Menschen, die heute der Mittelschicht angehören. Der Umstieg von der Werkbank der Welt in die Hoch-Technologie. Der größte Produzent von E-Autos, von Solaranlagen, das Land mit dem weltweißt größten Hochgeschwindigkeits-Bahnnetz. Und doch hat der schwindelerregende Erfolg seinen Preis, die Euphorie im Land ist spürbar verflogen. Die Immobilienpreise haben sich selbst auf dem Land in schwindelerregende Höhen geschraubt. Auch nach Platzen der Immobilienblase lassen sich mit Löhnen und Sparen allein keine Wohnungen mehr kaufen. Zudem setzen Exportweltmeister China mit seinen Überschussproduktionen die weltweit aufsteigenden Handels- und Zollschranken zu. Der eigene chinesische Markt sei nicht in der Lage, die Überschüsse zu verdauen, konstatieren Ökonomen unisono – wer soll all die Waren konsumieren? Hohe Jugendarbeitslosigkeit Und das auch angesichts einer gefährlich hohen Jugendarbeitslosigkeit. Weil die Statistiken zu hoch wurden, änderte Peking die Berechnungsgrundlage und weist die Jugendarbeitslosigkeit nun mit 17 Prozent aus. Schätzungen unabhängiger Ökonomen gehen von bis zu 25 Prozent aus, selbst die besten Uniabschlüsse ändern daran wenig. So verzweifelt ist die Lage für junge Jobsuchende, dass sich in Peking ein neues Geschäftsfeld auftat: In den neuen, hypermodernen Glastürmen werden jetzt auch Büros für wenige hundert Yuan pro Tag vermietet, in denen man nur eines tun muss: So tun, als ob man arbeite. Telefon, Computer, Schreibtisch – alles ist da, benutzt werden muss es nicht. *Die Reise nach China erfolgte auf Einladung der chinesischen Zeitung Economic Daily und des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes Wien

Wie der Klimawandel die Alpen zu tickenden Zeitbomben macht

Wie der Klimawandel die Alpen zu tickenden Zeitbomben macht

Ende Juli donnern vom 3.559 Meter hohen Rainerhorn in der Venedigergruppe Fels- und Eismassen ins Tal. Felssturz und Lawine erreichen fast die Aufstiegsspur zum Großvenediger, einem der beliebtesten Bergsteiger-Ziele Österreichs. Wenige Tage danach ist eine Abordnung des Deutschen Alpenvereins (DAV) auf der Neuen Prager Hütte, einem beliebten Ausgangspunkt für Touren auf den Großvenediger. Bergführer Hans Hocke ist dabei, seit Jahrzehnten geht er mit Gruppen auf die höchsten Berge in den Alpen, kennt sie wie die sprichwörtliche Westentasche. Er spricht die Gefahren, die der Klimawandel in den Bergen auslöst, unverblümt an: „Diese Scheiße haben wir am Arsch, dass überall ein Steinbrocken rausfallen kann.“ Julian Rohn Bergführer Hans Hocke vom Deutschen Alpenverein. Er trauert den Eisrouten auf den Großglockner nach, die zu einem Großteil von den steigenden Temperaturen weggerafft wurden: „Klassische Eiswände gibt es fast nicht mehr.“ Felssturz am Großglockner Dabei wären diese Eisrouten gerade für das Bergführertraining von großer Bedeutung. Und fast prophetisch sagt er: „Mich wundert ja, dass der Großglockner noch steht.“ Prophetisch deshalb, weil wenige Tage danach ein Felssturz den beliebten Stüdlgrat von Osttirol auf den Großglockner erschüttert hat. Der Weg konnte zwar bald wieder freigegeben werden, die Gefahren auf den Bergen nehmen durch Felsstürze, verstärkt ausgelöst durch die Klimakrise, massiv zu, warnt der Bergsteiger. Mensch "fast vollständig" verantwortlich Warum das so ist, erklärt Tobias Hipp. Der Geowissenschafter ist beim Deutschen Alpenverein für Klimawandel und Gletscher zuständig und präsentiert ernüchternde, wenn nicht erschreckende, Daten, die den Gletschern, und damit den Bergen, zu schaffen machen. Josef Kleinrath Geowissenschafter Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein. Veränderungen, die „fast vollständig auf den menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen zurückzuführen sind“, betont Hipp. Dazu muss man wissen, dass die Temperatur in den Alpen wesentlich stärker steigt als im globalen Schnitt. Während weltweit gerade das 1,5-Grad-Ziel überschritten wird, messen wir in Österreich im Mittel einen Anstieg um 3,1 Grad seit 1900. Seit 1980 ist die Temperatur um 2,7 Grad gestiegen. Null-Grad-Grenze steigt weit nach oben Die 0-Grad-Grenze ist dadurch seit 1975 im Sommer in den Bergen um 350 Meter nach oben gewandert und liegt jetzt bei etwa 3.680 Metern. Der Großvenediger ist 3.657 Meter hoch. Der Klimawandel hat laut Hipp auch dazu geführt, dass im Berginneren, in etwa zehn Metern Tiefe, die Temperatur um fast ein Grad gestiegen ist. Josef Kleinrath Eine Wegemarkierung in der Venedigergruppe. Das Problem nennt Hipp beim Namen: „Dadurch nimmt die Hang- und Felsstabilität signifikant ab.“ Und weil die Temperaturzunahme im Berginneren mit mehreren Monaten Verzögerung erfolgt, sind Fels- und Bergstürze „meist Resultat von Hitzewellen aus dem vorigen Sommer“. Permafrost, "Kleber der Alpen", geht verloren Denn durch die Wärme im Inneren des Berges taut der Permafrost auf – der „Kleber der Alpen“. Das führe zu einem großen Stabilitätsverlust. Nach jetzigem Stand geht es in den Alpen Richtung fünf bis acht Grad Erwärmung. Hipp: „Der Wegebau ist in dem Gelände nicht möglich, uns werden Felsen und Hänge auf die Füße fallen.“ Auch er wird deutlich: „In den Alpen gibt es auf vielen Quadratkilometern tickende Zeitbomben.“ Dramatische Prognose Besserung ist nicht in Sicht, weil der CO 2 -Ausstoß nicht entscheidend gestoppt wurde und die aktuelle Entwicklung über Jahrzehnte in Stein gemeißelt ist. In den Bergen im wahrsten Sinn des Wortes. Denn Hipp weiß: „In den nächsten 14 Jahren werden 50 Prozent der aktuellen Eismasse der österreichischen Gletscher abgeschmolzen sein.“ Diese Analyse teilen auch die Gletschermesser des Österreichischen Alpenvereins, die Jahr für Jahr zweifelhafte Rekordverluste der Gletscher vermelden müssen. "Laufen der Entwicklung hinterher" Wie schnell sich die Gletscher zurückziehen, ist beim Aufstieg zur Neuen Prager Hütte vom Matreier Tauernhaus zu sehen. Florian Jungreit vom Nationalpark Hohe Tauern schärft den Blick für die Veränderungen. Josef Kleinrath Abzweigung zum Rundweg zur Gletscherzunge des Schlatenkees. Etwa an der Abzweigung zum Gletscherzungen-Rundweg. Dieser wurde 2014 neu gebaut, um einen relativ leichten Zugang zum Schlatenkees zu ermöglichen. Nur vier Jahre später war auf diesem Rundweg die Gletscherzunge schon nicht mehr zu sehen. Jungreit: „Wir laufen der Entwicklung hinterher.“ Josef Kleinrath Florian Jungreit vom Nationalpark Hohe Tauern. Dabei sind die schmelzenden Gletscher, was die Bergwelt auch für den Tourismus unattraktiver macht, nicht das einzige Problem, das durch den Klimawandel ausgelöst wird. Vielfältige Probleme durch hohe Temperaturen Jungreit führt den Wegfall des Wildwassersports in Flüssen, die von Gletscherwasser gespeist werden, an. Aber auch die verstärkt auftretenden Hochwasser durch Starkregen in den Bergen werden immer mehr Probleme bereiten, weiß er. Und zwar zusätzlich zu den Schäden an der Wegeinfrastruktur und der dadurch verstärkten Gefahr von Hangrutschungen und Felsstürzen. Denn Hochwasser bereitet den Fischen in den Alpengewässern große Probleme, ebenso die wärmer werdenden Bäche. Jungreit: „Dann treten immer mehr Krankheiten und mehr Parasiten auf. Diesen Druck auf Bachforelle und Äsche spüren wir hier.“ Lärchen kommen nach tausenden Jahren zurück Am Weg nach oben weisen Jungreit und Hipp auch auf ein anderes Phänomen hin. Jungbäume sprießen, junge Lärchen beginnen, in einer Höhe weit über der eigentlichen Baumgrenze zu wachsen. Josef Kleinrath Auf dem Weg zur Prager Hütte am Großvenediger sprießen wieder Lärchen. Lärchen hat es zwar früher auch in dieser Höhe geben – beim Salzbodensee wurde ein rund 10.000 Jahre alter, gut erhaltener Lärchenstamm gefunden. Kein Grund zur Sorge also? Jungreit: „Warmwellen waren früher planetarische Geschichten. Heute ist die Geschwindigkeit der Veränderung enorm. Das ist kein Zyklus wie früher.“ Und er mahnt ein, dass klimapolitische Ziele eingehalten werden: „Der Natur ist es egal, was geopolitisch passiert. Die Veränderung betrifft uns Menschen.“

UNO-Expertin warnt: "Hitze ist ein stiller Killer"

UNO-Expertin warnt: "Hitze ist ein stiller Killer"

Verheerende Waldbrände rund um Athen waren der persönliche Wendepunkt, warum Eleni Myrivili sich bei der Klimakrise der Aufklärung und dem Schutz verschrieben hat. Nun ist sie UN-Hitzebeauftragte. KURIER: Warum braucht es eine UN-Hitzebeauftragte? Eleni Myrivili: Ich habe in Athen begonnen, wo ich als stellvertretende Bürgermeisterin und später als erste Hitzebeauftragte Europas gearbeitet habe. Dort habe ich schnell gelernt, wie zerstörerisch Hitze sein kann: Sie bedroht die Gesundheit, verringert die Produktivität, belastet Stromnetze und Wasserversorgung und gefährdet sogar die Ernährungssicherheit. Lange Zeit war das Thema völlig unterschätzt – auch weil man Hitze nicht sieht. Ab 2019 habe ich beschlossen, mich ausschließlich diesem Problem zu widmen. Heute versuche ich als UN-Hitzebeauftragte, Städte weltweit zu unterstützen. Sie sind wegen Waldbränden auf dieses Thema gestoßen? Ja, mein persönlicher Wendepunkt war der Sommer 2007, als in Griechenland riesige Waldflächen verbrannten. Ich saß wie viele andere tagelang fassungslos vor dem Fernseher. Niemand sagte, was die Menschen tun sollten, wie sie sich organisieren oder schützen können. Da wurde mir klar, dass es in Griechenland keine wirksame Prävention gab. Wir investierten in Löschflugzeuge, aber nicht in Vorbeugung. Diese Hilflosigkeit und die offensichtliche Verbindung zum Klimawandel haben mich damals aufgerüttelt – und letztlich in die Politik gebracht. Und was ist Ihr Zugang? Meine Arbeit hat drei Säulen: Erstens geht es um Bewusstsein. Ich übersetze wissenschaftliche Daten in eine Sprache, die Politiker, Medien und auch besonders gefährdete Gruppen verstehen. Zweitens: Schutz. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen während einer Hitzewelle nicht sterben und Systeme nicht kollabieren. Und drittens: Umgestaltung. Wir müssen unsere Städte neu denken, umbauen und widerstandsfähig machen, wenn sie auch in den kommenden Jahrzehnten noch lebenswert sein sollen. Ist das wirklich nötig? Hitzewellen hat es früher auch gegeben. Ja, das stimmt. Aber die Dimension ist heute eine andere. Früher kamen Hitzewellen vielleicht alle acht oder zehn Jahre, dauerten wenige Tage und blieben bei 35 Grad. Heute erleben wir sie fast jeden Sommer mehrfach, sie dauern länger und erreichen Spitzen von fast 40 Grad. 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, und Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt. Städte verstärken diesen Trend noch, weil Asphalt und Beton die Hitze speichern. Deshalb sind Hitzewellen heute viel gefährlicher als noch vor einer Generation. Woran sterben Menschen bei einer Hitzewelle? Das perfide ist: In den Statistiken steht selten „Hitze“. Stattdessen sehen wir Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nierenversagen, Kreislauferkrankungen. Auch Diabetespatienten leiden stärker, und psychische Leiden verschärfen sich. Wir beobachten mehr Suizide und auch mehr Gewalt in Phasen großer Hitze. All das macht Hitze zu einem „stillen Killer“ – sie bricht wie ein unsichtbarer Geist über eine Stadt herein und sucht sich die Schwächsten. Die wahren Opferzahlen kennen wir oft erst Monate später, wenn Ministerien oder Wissenschafter die Übersterblichkeit berechnen. Allein im Sommer 2022 starben in Europa mehr als 60.000 Menschen an der Hitze, ich denke, es waren in Wahrheit viel mehr. Trifft Hitze die Menschen in den Städten im gleichen Maß? Hitze trifft vor allem jene, die wenig haben. Wer reich ist, kann die Klimaanlage aufdrehen oder in ein kühles Haus aufs Land flüchten. Wer arm ist, lebt oft in schlecht isolierten Wohnungen ohne Kühlung. Dazu kommen ältere Menschen, Kranke, Kinder und schwangere Frauen – sie sind besonders verletzlich. In vielen Städten müssen gerade Frauen als Hauptverantwortliche für Pflege und Familie mit extremer Belastung umgehen. Hitze legt soziale Unterschiede gnadenlos offen: Sie zeigt, wer geschützt ist und wer nicht, und sie verschärft bestehende Ungleichheiten. Also was sollen Städte konkret tun? Grüne und blaue Infrastruktur – was soll das sein? Zwei Werkzeuge sind entscheidend: Wissen und Natur. Wissen heißt Frühwarnsysteme – damit Menschen rechtzeitig informiert sind, Wasser trinken, körperliche Anstrengung meiden oder kühle Orte aufsuchen. Natur heißt: Grüne und blaue Infrastruktur schaffen. Grün bedeutet Bäume, Parks, begrünte Dächer. Blau bedeutet Wasserflächen, Brunnen, Bäche. Am effektivsten ist die Kombination: Bäume entlang von Wasserläufen, die Verdunstung fördern, spenden Schatten und senken nachweislich die Temperaturen. Studien zeigen, dass sich die hitzebedingte Sterblichkeit um ein Drittel reduzieren lässt, wenn Städte ihre Baumkronenfläche um 30 Prozent erhöhen. Das ist enorm. Medellín in Kolumbien und Singapur haben das Thema sehr gut in den Griff bekommen. Wie sieht das dort aus? Singapur hat über Jahrzehnte systematisch auf Begrünung gesetzt und gleichzeitig das Wasser genutzt: Flüsse wurden renaturiert, Windströme gelenkt. So ist die Stadt trotz tropischen Klimas vergleichsweise erträglich. Medellín wiederum hat ein Netz aus grünen und blauen Korridoren geschaffen, das die Stadt mit den Bergen verbindet. Begrünte Straßen, Flussläufe, Fußgängerzonen – alles miteinander verknüpft, dazu Seilbahnen in die Hügel. Das hat die Lebensqualität enorm verbessert. Beide Beispiele zeigen: Mit politischem Willen ist radikale Ökologisierung möglich – nicht ein paar Bäume hier und da, sondern eine Neugestaltung ganzer Städte. Neu ist die Sorge in einigen Weltregionen über die Kombination Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit. Was ist daran so gefährlich? Weil unser wichtigster Kühlmechanismus – das Schwitzen – bei hoher Luftfeuchtigkeit versagt. Wenn der Schweiß nicht verdunstet, kann der Körper sich nicht mehr kühlen. Schon ab Temperaturen über 35 Grad mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit kann der Mensch schon nach wenigen Stunden überhitzen – und sterben. Besonders gefährdet sind tropische Regionen: Teile Südostasiens, Indiens, der Sahelzone, Südamerikas oder des Nahen Ostens. Dort leben Milliarden Menschen, viele in schlecht gebauten Häusern. Für sie wird die Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit lebensgefährlich – und es fehlen oft die Ressourcen, um sich zu schützen. © ÖAW / Joseph Krpelan Und was sind die Pläne der UNO gegen diese feuchte Hitze? Globale Patentlösungen gibt es noch nicht. Klar ist: Selbst wenn wir morgen alle Treibhausgas-Emissionen stoppen würden, bliebe die Hitze auf Jahrzehnte. Deshalb müssen Anpassung und Resilienz massiv gestärkt werden. Entwicklungsbanken und internationale Fonds beginnen, Resilienz-Kriterien in ihre Investitionen einzubauen – vom Straßenbau über die Energieversorgung bis zur Stadtplanung. Bei Klimagipfel in Dubai wurde ein „Global Cooling Pledge“ gestartet: Ziel ist es, Kühlungstechnologien zu entwickeln, die ohne klimaschädliche Emissionen auskommen. Aber entscheidend ist: Städte sind die Akteure, die am schnellsten handeln können. Dort entstehen die Innovationen, dort wird entschieden, ob Menschen künftig überleben können.

Wie die neue Infofreiheit in der Praxis funktioniert

Wie die neue Infofreiheit in der Praxis funktioniert

Morgen um 7 Uhr früh ist für Amtsleiter Reinhard Haider im Gemeindeamt Kremsmünster Tagwache. Eine Stunde später, um 8 Uhr, wollen er und seine Mitarbeiter die ersten Dokumente online gestellt haben. Das Amtsgeheimnis ist schon ab Schlag Mitternacht am 1. September Geschichte, und es gilt das Informationsfreiheitsgesetz. Die Vorbereitungen waren „intensiv“, sagt Haider – und das ist wohl eine Untertreibung. Neue digitale Tools mussten beschafft, Mitarbeiter eingeschult und Unsicherheiten zur Gesetzeslage besprochen werden. „Es gibt Gemeinden, die warten noch ab, wie es sich in der Praxis bewährt. Wir aber wollen gleich losstarten und ausprobieren. Auch, um unsere Erfahrungswerte zu teilen“, erklärt der Amtsleiter von Kremsmünster – der, wie er sagt, „digitalsten Gemeinde Österreichs“. Pionier war die Gemeinde schon bei der Künstlichen Intelligenz. Ein Chatbot namens „Kremsi“ kommuniziert auf der Website mit Bürgern und beantwortet Fragen rund um das Leben in der Marktgemeinde. Noch viele Unsicherheiten Auch auf das Infofreiheitsgesetz freut sich Haider, das hört man ihm an. „Ich bin grundsätzlich für die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Die Informationen gehören den Menschen, sie bezahlen ja dafür mit ihren Steuern“, sagt er. Wissend, dass es nicht alle seine Kollegen so positiv sehen. Wie also läuft das mit der Infofreiheit ab 1. September ab? Die erste Säule ist die proaktive Veröffentlichungspflicht, wonach alle Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern Informationen, die von allgemeinem Interesse sind, veröffentlichen müssen. Das gilt etwa auch für Studien oder Gutachten und Aufträge ab dem Wert von 100.000 Euro. Das seit mehreren Jahren bestehende Portal data.gv.at wird entsprechend befüllt. Informationen, die schon auf der Website der Gemeinde stehen, müssen nur noch verlinkt werden. Privat Die zweite Säule sind die Individualanfragen. Es reicht ein formloser Antrag – auch ein eMail oder Anruf beim Amt, wobei Haider von Letzterem eher abrät. Gerade in der Anfangszeit dauere die Auskunft wohl etwas länger. Die Sorge mancher NGOs, dass Beamte eher zu vorsichtig sein könnten, kann der Amtsleiter nachvollziehen. Wie gesagt: Das Gesetz stecke noch voller Unsicherheiten. Verwaltungsbeamte riskieren dienstrechtliche Konsequenzen, wenn sie zu viel verraten, etwa personenbezogene Daten. Extra recherchiert wird nichts Datenschutz und andere Gesetze, die eine Geheimhaltung vorsehen, gelten weiter, weshalb der Informationsfreiheit Grenzen gesetzt sind. Wer etwa wissen will, wer da auf einem leeren Grundstück baut, muss mit einer Abfuhr rechnen. Nur Nachbarn haben Parteienstellung und damit das Recht auf Einsicht ins Bauverfahren. Bei Vergabeverfahren könnte die Gemeinde Unterlagen aus dem Gemeinderat zur Verfügung stellen. Aber auch nur jene, die keine Geschäftsgeheimnisse beinhalten, etwa Preiskalkulationen von Bewerbern. Generell gilt: Herausgegeben werden nur vorhandenen Informationen, extra recherchiert wird nichts. "Es werden sich viele Juristen den Kopf zerbrechen" Amtsleiter Haider glaubt, dass in vielen Fällen entweder auf data.gv.at oder eine andere Website verwiesen werden kann. Deshalb ist er auch zuversichtlich, was den Aufwand betrifft. Eine nennenswerte Anzahl individueller Anfragen dürfe es wohl nur bei Gemeinden geben, die kleiner sind als 5.000 Einwohner, weil sie die proaktive Veröffentlichungspflicht nicht trifft. Freiwillig veröffentlichen dürfen aber auch sie. Der heikelste Teil: Was, wenn eine Anfrage abgelehnt oder nicht ausreichend beantwortet wird? Der Betroffene kann sich dagegen beim Landesverwaltungsgericht beschweren, die nächste Instanz ist der Verwaltungsgerichtshof. Haider ist gespannt: „Es werden sich viele Juristen den Kopf zerbrechen müssen, was richtig ist und was falsch, und ich gehe auch davon aus, dass das Gesetz irgendwann reformiert werden muss.“ Veröffentlicht wird Montagfrüh in Kremsmünster übrigens ein Verkehrsgutachten. Welches genau, verrät Haider nicht. Noch gilt ja das Amtsgeheimnis.